Spitzenmasken und Corona-Bällchen
Mein Maskenalptraum
Der Schreck sitzt noch tief, bei uns wurde eingebrochen! Soviel steht fest, die Einbrecher haben unsere regelmässigen Corona-Stoßlüftzeiten ausgekundschaftet und dann schamlos zugeschlagen. Pünktlich zur halben und vollen Stunde öffne ich die Fenster für jeweils zehn Minuten. Die Einbrecher hatten so natürlich ein leichtes Spiel.
In diesen Zeiten bin ich nur noch im Streß, schliesslich wollen auch die eine Millionen Follower meiner neuen You-Tube Channels „Sauber mit Zauber“ und „Frauen gegen Viren“ bedient werden.
In meiner heutigen Sendung zeige ich allen Müttern, wie man einen virenfreien Kuchen backt. Das Backen ist die kleinste Hürde, Sauberkeit und Hygiene wird in Küchen immer groß geschrieben und bei 300 Grad verbrennt jeder SARS-Krümel, könnte man meinen. Doch so einfach ist das nicht mehr mit dem Kindergeburtstag in der Schule. Einen Kuchen mitbringen, in die Mitte stellen und von jedem ankrabbeln lassen, das war früher so. Für mich heutzutage ein unmöglicher, ja fast ekelhafter Gedanke, vor allem, weil die Kinder noch nicht mal Gummihandschuhe anhaben. Deshalb betone ich es auch immer wieder in meinem Channel, Leute denkt dran, gebt Viren keine Chance! Wichtig, den Kuchen nur mit einem desinfizierten Messer in gleich große Stücke schneiden, jedes Stück bekommt seine eigene Tüte, diese wird dann portionsweise eingeschweisst. Ich empfehle das Vakuumgerät, das entzieht dem Folienbeutel bis zu 90 % des Sauerstoffs und gleichzeitig die Aerosole. Man sollte nur darauf achten einen festeren Kuchen zu wählen, damit dem lockeren Stück nicht so viel Luft entzogen wird, dass es dann auf die Höhe eines Schulheftes gequetscht wird. Also, ich schwöre ja auf kleine Nuss-Corona-Bällchen mit Kokosstreusel.
Auf jeden Fall war ich mit dem Video und den Vorbereitungen so beschäftigt, dass die Verbrecher unbemerkt ins Haus eindringen konnten, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.
Schmuck, Fernseher, Guccitaschen, Computer – alles noch da.
Nur die eine einzige Schublade wurde ausgeräumt.
Die Kommode steht im Flur, ich hatte noch überlegt, alles lieber in den abschließbaren Schrank zu stellen und ein Vorhängeschloß dranzuhängen.
Naja, jetzt ist es zu spät. Alle sind sie weg – nicht eine Einzige haben die Schweine übrig gelassen.
Alle Masken wurden geklaut! Mein ganzer Coronavorrat! ! ! Das hat mich ein Vermögen gekostet, ich könnte heulen.
Allein die medizinischen Masken, die erst vor einer Woche aus Taiwan hier angekommen sind, haben mein Haushaltsgeld aufgefressen. Dann noch die Zollgebühren obendrauf – der reine Wahnsinn. Aber wer Qualität haben möchte, der zahlt eben einen hohen Preis, die Taiwaner haben die Epidemie schliesslich erfolgreich überwunden. Warum wohl? Höchstwahrscheinlich wegen der guten Qualität ihrer Masken, die brauchen sie jetzt nicht mehr, deshalb sind sie jetzt bei mir. Ist ja gar nicht wahr, waren bei mir, jetzt sind sie alle weg. Jeweils 50 FFP1, 2 und 3 Masken, auf höchstem medizinischen Niveau.
Dann fehlen alle rosa Kindermasken meiner Tochter mit Prinzessin Lillifee und die Glizzermasken in Silber und Gold. Meinen Sohn konnte ich nur mit den Camouflage-Mustern überzeugen, die er aber in seiner Schule aus pazifistischen Gründen nicht anziehen durfte. Die Zehnerpackung war also umsonst, der trauer ich nicht hinterher.
Ach, meine Face-Shields, die ich benutze, wenn mal Kinder zu Besuch kommen. Die meisten Kinder hören sowieso nicht zu, wenn man was sagt, und mit dem Stoff vor dem Gesicht haben sie dann auch eine gute Ausrede. Ausserdem, viele Kinder haben eine Oma, die gefährdet ist, heutzutage sind sogar die Eltern so alt, dass sie auch schon zu den „Gefährdeten“ zählen, also, sicher ist sicher, lieber das Schild anziehen.
Alle Kinder, die zu Besuch kommen, müssen bei uns Masken tragen. Das ist bei Thorbjörn, dem Freund meines Sohnes, auch sehr praktisch. Er hat eine sehr feuchte Aussprache und verbraucht pro Besuch mindestens 3 Community-Masken, die danach komplett durchfeuchtet sind. Früher haben die beiden leidenschaftlich Hot-Wheels durch die Gegend geschoben und Autogeräusche mit vibrierenden Lippen simuliert. Gott sei dank haben sie damit aufgehört, sonst käme ich mit dem Maskenwechsel gar nicht hinterher. Die Dinger packe ich nur mit Gummihandschuhen an und dann gleich ab in die Tonne.
Oh je, danach habe ich jetzt gar nicht geschaut, ob die Schublade mit meinem Desinfektions- und Handschuhvorrat auch ausgeräumt wurde. Da lagerten meine Raumsprays, mindestens 6 Päckchen Einmalhandschuhe, kleine Fläschchen Sakrotan für den Schulranzen und Durftbäumchen fürs Auto mit eingebauten Aereosolenkiller. Der 10 Liter-Kanister Desinfektionsmittel steht ja Gott sei dank in der Garage.
Angeblich soll es in Deutschland noch genug Pandemiezubehör geben, meinen Vorrat hatte ich damals aus 3 verschiedenen Drogeriemärkten, 2 Diskountern und mehreren Apotheken zusammengekauft. Jetzt geht der Kaufstress wieder los.
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Das glaube ich jetzt nicht! Da kommt mir doch ein Geisterfahrer in der Einfahrt entgegen und auch noch kurz vor meinem Parkplatz.
Ich drücke auf die Hupe, alle Menschen im nahen Umfeld reagieren, nur der Mann am Steuer nicht. Er fährt immer noch direkt auf mich zu. Jetzt erst sehe ich, dass er eine Maske aufhat. Irgend etwas sieht anders aus als sonst. Ach ja, er hat weder Mund noch Nase bedeckt, dafür aber die Augen. Panik steigt in mir auf. Jetzt muss Plan B her, bevor er mir noch an meinen SUV knallt.
Da ist er auch schon – mein Geistesblitz. Ich schalte das Fernlicht ein, der ganze Parkplatz ist erleuchtet, das Flutlicht blendet sogar die Verkäuferin im Laden, die mir wütend mit der Faust droht. Fußgänger sehen sich erschrocken um, eine Frau blafft ihren Mann an: „Siehst du, jetzt kommt schon dein Sonderkommando, weil du nie deine Maske vernünftig aufziehst.“
Ein keiner Junge ruft begeistert: „Mama, ein Raumschiff, da sitzt eine Alienfrau drin!“
So hat man mich noch nie bezeichnet, das ist ja mal was Neues. Im Moment fallen eher Kosenamen wie Desinfektionstante, Corona-Königin und SARS-Buster.
Mein Plan ist aufgegangen, das Licht ist durch die schwarze Maske gedrungen. Der Blinde hat die Bremse gefunden und der Elektrowagen kommt einen Millimeter vor meiner Stoßstange zum Stehen.
Er trägt eine dieser superwitzigen Bedeckungen mit der Aufforderung: „Bitte Abstand halten“.
Den Satz hätte ich mir auf meinen Wagen schreiben sollen, nee, hätte ja auch keinen Sinn gemacht, er sah ja nichts. Ich fahre ganz dicht neben die fahrende Steckdose, kurbel mein Fenster runter und schreie: „Fragen sie ihren Arzt oder Apotheker wie man die Masken vorschriftsmässig anlegt, sonst melde ich sie das nächste Mal beim Ordnungsamt. Ihr Kennzeichen habe ich mir gemerkt.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, lasse ich den Motor zwei mal aufheulen und schiesse in meine Parklücke.
Ich bin total fertig, brauche erst einmal ein Erfrischungsgetränk. Im Auto ist noch nicht mal mehr meine Wasserflasche. Gestern hatte ich meinen Wagen zur „Clean-Car-Pflege“ bei den Özmir-Brüdern abgegeben. Als Stammkunde bekomme ich in diesen schwierigen Zeiten einen Sonderpreis.
Das Komplettpaket: Erhitzung auf 90 Grad – tötet alle Viren und Bakterien. Danach der Vakuum-Luftsauger, zieht selbst feinste Partikel aus der Luft, auch eingetrocknete Reste alter Babykotze und mikrofeine Krümel. Danach wurde das Sterillium gesprüht und zur Krönung die antibakterielle Versiegelung.
„Is jetzt sauber wie OP“, sagte Ali.
„Aber intensiv, weißt du“, ergänzte sein Bruder grinsend.
Hier drinnen könnte man Corona-Tote obduzieren. Allerdings ist alles, außer den festgeschraubten Sitzen, in Alis Vakuumsauger gelandet. Ausgerecht mir passiert es, dass ich jetzt keine einzige Mund-Nasen-Bedeckung mehr habe. Alles wurde gestohlen und weggesaugt. Dummerweise habe ich alles, was immer im Auto rumliegt, in meiner 3-Tages-Routine entsorgt. Feuchttücher könnte ich mir ins Gesicht hängen, Fehlanzeige, sind auch nicht da. Nur noch 3 Flaschen Sakrotan.
Das ist perfekt, so komme ich in den Laden und kann mir neuen Vorrat anlegen. Beschwingt greife ich einen Einkaufswagen und sprühe den Griff rundherum ein. Zufrieden laufe ich in den Eingangsbereich, atme aus und sprühe sofort hinterher. Wagen schieben – ausatmen – sprühen, Wagen schieben – ausatmen – sprühen. Ich bin begeistert, das könnte der neueste Trend werden, ein kleiner Twist mit schützender Wirkung. So zusagen der Corona-Lambada, könnte ich später mal ein Video von drehen und Herrn Spahn schicken. Wäre doch mal eine Abwechslung, wenn er in den Tagesthemen zum Corona-Tanz auffordert. Oder das ganze Kabinett eine Revue hinlegt und ruft: „Ausatmen – sprühen – Abstand halten“. Eine kleine Verkäuferin bäumt sich vor mir auf und holt mich wieder zurück in die Realität.
„Stop! Wat wird det?!“, brüllt sie und reibt sich wegen meines Lichtangriffs immer noch die Augen.
„Meine neue, innovative Erfindung. Schauen sie, ich atme aus und sprühe die respiratorischen Partikel kreisförmig an. Ausgestossene Aerosole werden eingefangen, in dieser Hygienewolke gesammelt und dann vernichtet. Fantastisch, was?“
„Ick bin bejeistert!“
„Anschliessend laufe ich selber in das Desinfektionswölkchen, und so bin auch ich geschützt“ rufe ich fast quietschend vor Freude.
„Janz grosset Kino. Dann schnappen se sich mal ihre Hygiene und düsen damit janz schnell nach draußen“
„Aber ich sprühe…“
„Aber zackig, junge Frau, sonst sprüh ick och mal wat und did is denn keene Wolke!“
„Ok, habe ich verstanden.“ Frustriert biege ich meinen Kragen hoch und halte ihn mir vors Gesicht.
„Ham se nich jelesen?“, fährt sie mich an.
„Mund und Nase is doch bedeckt“, nuschel ich hinter dem Stoff.
„Ja, aber keene T-Shirts“
„Das ist kein T-Shirt, ein gestärkter Blusenkragen, der hat mindestens die Qualität einer FFP2-Maske.“
„Wenn wir hier jedes einzelne Kleidungsstück uffschreiben müssten, dann hing det janze Fenster voll mit Verboten. Ick sags mal janz deutlich – Maske is Maske und jetzt: RAUS!“
Widerstand scheint hier zwecklos zu sein. Hilfesuchend schaue ich mich um, den bunten Strickmatel und das Schalrelikt aus den 70er Jahre kenne ich doch. Meine Nachbarin, das ist meine Rettung.
„Inge“ flöte ich. „Schön, dich zu sehen, sag mal, hast du eine Maske übrig, für mich, zufällig?“
Irritiert schaut sie mich an und säuselt: „Nee du, tut mir echt leid, du weisst ja ich bin gegen Masken und Wegwerfen und so.“ Sie zieht ihren Strickschal fester ins Gesicht und ich meine, ein Grinsen dahinter entdecken zu können.
Ich drehe mich wieder zum kleinen Besen um und strecke meinen Finger in Richtung Ökonachbarin. „Und was ist mit der?“, rufe ich. „Dieser selbstgefummelte Strickfetzten vereint doch alle Grippeviren der letzten Jahrzehnte. Um sowas müssen sie sich mal kümmern.“
„Ick kümmer mir erst mal um dir.“ Sie funkelt mich an, drückt auf ihr kleines High-Tech-Gerät, es knistert in den Kaufhauslautsprechern und ihre Stimme dröhnt durch alle Gänge: „Schickt mir den SHB, hier ist wieder so ne Coronaleugnerin, die Jute will mal frische Luft schnuppern.“
„Sie verstehen mich nicht, ich bin keine Verleugnerin. Ich bin die Marie-Luise aus ‚Sauber mit Zauber‘, bei mir haben Viren keine Chance. Ich bin der Covid-Kenner, eine absolute Verhüllungsbefürworterin, ein Mund-Nasen Fetischist, ein Anti-Viren-Fan, Dauerlüfter und Drostenverehrer. Meine Masken wurden gestohlen, ich trage sonst immer eine, wirklich, lassen sie mich nur kurz hier rein, dann kann ich mir Neue besorgen.“
„Nee, jeht nich.“
„Stets halte ich auch die AHA+L+A Regeln ein. Wissen Sie, was es bedeutet?“, triumphierend schaue ich sie an.
„Nee, ikk kenn nur LMAA.“
Den schlechten Scherz ignorierend, antworte ich: „Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen, Lüften und die Corona-Warn-App“.
„Is ja en Ding, interessiert mich so jar nich.“
Der SHB ist angekommen, hierbei handelt es sich um die gebräunte Ausgabe von Meister Propper.
„Hallo SHB“, rufe ich und sprühe meinem Gesprochenen schnell den Hygiene-Kreis hinterher.
Es dauert eine Weile bis mein Blick die Bizepsberge überwunden hat und am Gesicht angekommen ist. Dem Meister hängt ein Transparent unter der Glatze, dessen Spruch mich stark beeindruckt. „Hau ab, sonst hau ich“ lautet der klangvolle Aufruf, ich entscheide mich blitzschnell diesem Ruf zu folgen und laufe in Richtung Ausgang.
Stampfende Schritte verfolgen mich. Am Eingang drehe ich mich noch mal um und frage. „Jetzt bin ich doch neugierig. Was bedeutet SHB?“
„Sonder-Hygiene-Beauftragter“, grunzt er.
Ich nicke und schlendere mit hängenden Schultern zum Auto, ruhe mich kurz auf dem Sitz aus, ziehe meinen verknüllten Kragen zurecht und streife die Bluse glatt. Bei den Brüsten mache ich halt. Begeisterung macht sich in mir breit, nach einigen Sekunden halte ich meinen BH in den Händen. Ich bin gerettet! Mit der Schere meines Taschenmessers trenne ich die beiden Körbchen voneinander, bohre kleine Löcher in den Stoff, befestige die Träger neu und voilà: Meine Maske mit Spitzenapplikationen ist fertig.
Wahrscheinlich schmeisst mich der kleine Besen wieder aus dem Laden, doch einen Versuch ist es wert. Selbstbewusst marschiere ich los und dann ab durch die Glastür. Skeptisch schaue ich mich um, doch keiner scheint sich für mich zu interessieren, alle packen gelangweilt ihre Lebensmittel in den Wagen.
An der Kasse sitzt meine Lieblingsverkäuferin: „Na sehn se, jeht doch. Aber immer erst mal Theater machen. Von wegen keene Maske und so. Sieht doch spitze aus.“ Vor lauter Begeisterung ein Wortspiel zustande bekommen zu haben, fällt sie in ein wieherndes Lachen, bis die Plexiglasscheibe vor ihr beschlägt. Aus Reflex sprühe ich dagegen.
„Spitzenmaske und spitze – versteest de?“
„Ja, wirklich witztig“, erwidere ich gequält.
„Nee, gefällt mir wirklich jut, iss mal wat anderet, nicht immer so langweilig wie die blauen Dinger“
Ich bin kurz davor, ihr eine Bastelanleitung zu beschreiben, doch bei ihrer Körbchengröße würde ihr ganzes Gesicht darin verschwinden.
„Na denn machen sie`s jut und – immer allet schön bedeckt halten.“ Sie kichert wieder.
Ich strecke ihr die Zunge raus. Es lebe der PushUp, durch die Polsterung wölbt sich nichts, das Gefühl ist so befreiend, dass ich die halbe Autofahrt mit ausgestreckter Zunge fahre und das Körbchen erst wieder zu Hause ausziehe.
Ich befülle gleich die Schublade mit meinen neuen Errungenschaften.
Corona kann bleiben, ich bin wieder bereit!
Die goldene Glitzermaske hängt am Haken, meine Tochter muss zu Hause sein. Die Oma wäscht sich wie immer im Bad die Hände, durch ihre Zwangshandlungen sind in den letzten Monaten unsere Wasserkosten erheblich gestiegen. Wir haben ihr den Raum als Quarantäne eingerichtet, die Badewanne mit Decken ausgestattet und bringen ab und zu das Essen rein.
„Mäuschen, bist du im Zimmer?“, rufe ich.
„Ja Mutti, komm rein, ich hab was ganz Tolles gemacht.“
Ich trete ein und mich trifft der Schlag. Schnuppi, Kacki, Danny, Rose, Mimi, Brummbär, alle Stofftiere aus dem ganzen Haus sitzen verteilt im Zimmer und tragen eine Maske. Es sind meine Masken, mein Depot, der Übeltäter war meine Tochter.
„Jetzt sind alle ganz doll geschützt, Mutti, die Pflanzen auch.“
Ich schaue auf die Kakteen auf ihrem Fensterbrett und verstehe, was sie meint. Jetzt ist der Zeitpunkt, laut zu schreien, die Masken zusammenzuknoten und damit meine Tochter zu würgen. Doch die „Eltern-Kind-Seminare“ waren nicht umsonst. Ich sammle meine innere Wut, werfe sie – schwups – symbolisch aus dem Fenster und hauche: „Das hast du ganz toll gemacht, mein Engel.“
Puderrot renne ich in den Keller, drehe das Beatmungsgerät auf und ziehe mir wie ein Junkie den Sauerstoff rein. Langsam entspanne ich mich wieder. Die Geräte waren ihr Geld wert, habe ich über eine Auktion ganz günstig geschossen, denn alle Krankenhäuser wollen die Dinger jetzt loswerden.
Der Sauerstoff scheint zu wirken, es kribbelt am ganzen Körper, kitzelt runter bis zum Hintern, vibriert immer doller, mein ganzes Gesäß bebt, ich bin irritiert und endlich begreife ich, dass in der Hosentasche mein Handy steckt. Verwundert lese ich die Nachricht meiner Warn-App:
„Achtung, Achtung! Sehr geehrte Frau Müller, dieses ist eine anonyme Mitteilung.
Frau Ostermayershausen von der ‚Kauflust-Kette‘ wurde positiv auf Covid19 getestet. Bitte begeben Sie sich umgehend zur nächsten Teststelle, vermeiden Sie sämtliche Kontakte, legen Sie sich einen Ganzkörperschutz an und atmen Sie nur in äussersten Notfällen.
Zum weiteren Vorgehen: Nach dem Test wird gleich Stufe 2 durchgeführt. Sie bekommen ein Desinfektionsmittel in den Oberarm in Form des RKI-Logos gespritzt. Zuzüglich des 24-Monate-Schutzes ermöglicht Ihnen das weltweit anerkannte Zertifikat die Einreise in 5 Partnerländer, auch in Risikogebiete. Nach Berechnungen der ‚Johns-Hopkins-Universität‘ lassen die Schwellungen nach einem halben Jahr nach und exakt nach 24 Monaten sind alle Narben vollkommen verheilt.“
Ich glaube, mir wird schwindelig, die Beine zittern, meine Knie werden weich, ich ruder wie wild mit meinen Armen, finde aber keinen Halt, kippe und falle. Die Landung ist unerwartet weich, wie auf einem Trampolin feder ich ein kleines Stück nach oben. Tja, jeder hat sich über meine Sammlung lustig gemacht, jetzt hat sie mich vor einer Katastrophe – naja zumindest vor blauen Flecken bewahrt. Mein Almanach aus Klopapierrollen! Ich schiebe – schwebe auf auf Wolke-19.
Euer Covidchen
7.12.2020