3. MK-Ultra for ever
Fort Detrick war in den 1950er Jahren, bevor es zum Zentrum des US-amerikanischen biochemischen Waffenprogramms und damit der Experimente mit Viren wurde, der Sitz des MK-Ultra-Projekts. Das MK-Ultra-Projekt bleibt in der Zeitgeschichte der Höhepunkt der durch den Kalten Krieg erlaubten Enthemmung. Der Punkt, an dem eine von ihrer Sache trunkene Epoche ihr wahres Gesicht zeigt. Vielleicht ist das nur deshalb so, weil es, inmitten so vieler anderer geheimer CIA-Projekte, eines der wenigen ist, über das schließlich einige Informationen durchgesickert sind. Der Mechanismus der Enthemmung ist banal: Es genügt zum Beispiel, dem Feind – in diesem Fall dem „Kommunisten“ – höllische Methoden – in diesem Fall Folter und Gehirnwäsche – zu unterstellen, um sich selbst zu erlauben, dasselbe zu tun, natürlich „für die gute Sache“. Es handelt sich hierbei um eine Art anthropologischen Mechanismus, an dem die Moderne einen besonderen Narren gefressen zu haben scheint. Allen Dulles, der damalige Direktor der CIA, erläuterte die Logik in einer Rede an Absolventen von Princeton im April 1953: „Ist uns klar, wie unheimlich der Kampf um die Köpfe der Menschen geworden ist? […] Man könnte ihn als ‚Krieg um das Gehirn‘ bezeichnen. Die Zielscheibe dieses Krieges ist der Geist der Menschen auf individueller und kollektiver Basis. Seine Absicht ist es, den Geist so zu konditionieren, dass er nicht mehr aus freiem Willen oder auf rationaler Basis reagiert, sondern von außen eingepflanzten Impulsen folgt. […] Der menschliche Geist ist das empfindlichste aller Instrumente. Er ist so fein abgestimmt, so empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen, dass er sich in den Händen finsterer Menschen als formbar erweist. Die Sowjets nutzen diese Perversion des Gehirns nun als eine ihrer Hauptwaffen, um den Kalten Krieg fortzuführen. Einige dieser Techniken sind so subtil und widerstreben unserem Way of Life so sehr, dass wir eher zurückgewichen sind, als uns ihnen zu stellen.“
Drei Tage später genehmigte er das hochsensible Forschungsprojekt MK-Ultra, dessen Ziel es eben war, Fortschritte auf dem Weg zur Mind Control zu machen.
Das ganze humanistische Pathos von Allen Dulles ist natürlich nur vorgetäuscht. 1953 unterhält der amerikanische Geheimdienst schon seit einem guten Jahrzehnt Verhör- und Folterbasen auf der ganzen Welt. Dort opfern sie ihrem Studium der „Wissenschaft vom Menschen“ bereitwillig Gefangene, die als entbehrlich, das heißt als „verbrauchbar“ gelten und die man mit Giftspritzen, Entzug oder sonderbaren Grausamkeiten töten kann. Sie setzten alles daran, Kurt Blome und Shiro Ishii, die in den Lagern der Nazis und Japans mit Milzbrand, Botulismus, Pest, Cholera, Ruhr, Pocken und Typhus experimentierten, reinzuwaschen und zu rekrutieren. Nach ihnen wurden 700 weitere Nazis angeworben, darunter Wissenschaftler, Ingenieure und Agenten, schlüsselfertig mit Visa und gefälschten Biografien. Das war die Operation Paperclip. Das denkwürdige Gehlen-Netzwerk des Nachrichtendienstes Fremde Heere Ost wechselte ebenso nahtlos vom Reich in die USA wie ein gewisser Klaus Barbie. Der Meister des Verhörs der Luftwaffe kam, um seinen amerikanischen Kollegen seine edle Kunst zu lehren und ließ sich dafür sogar in Kalifornien nieder, wo er schließlich psychedelische Mosaike herstellte. Das alles war der „nationalen Sicherheit“ geschuldet. Im Jahr 1949, kaum sechs Jahre nachdem Hofmann in den Sandoz-Laboren in der Schweiz LSD synthetisiert hatte, schlug ein Wissenschaftler des Chemical Corps der US-Armee in seinem Bericht „Psychochemische Kriegsführung: Ein neues Kriegskonzept“ den offensiven Einsatz des Psychedelikums vor. 1953, in Camp Detrick, arbeiten die Wissenschaftler des „Technischen Dienstes“ der CIA bereits seit einigen Jahren an der biochemischen Kriegsführung und an bakteriologischen Waffen. Sie experimentieren mit allen möglichen innovativen Giftstoffen und ebenso innovativen Methoden ihrer Verabreichung. MK-Ultra folgt also auf Projekt Artichoke, Projekt Bluebird und grenzt an MK-Naomi – alles Programme, die Folter- und Vergiftungsexperimente bis zum Tod beinhalten. Das MK-Ultra-Projekt ist vor allem wegen der sturen Überzeugung seines Chefs Sidney Gottlieb legendär, LSD zu einem Wahrheitsserum machen zu können. Er scheute in diesem Fach keinen Aufwand. Über Wochen hinweg ließ er gewöhnlichen Häftlingen täglich massive Dosen verabreichen. Studenten, Patienten psychiatrischer Kliniken und sogar ein Mitglied des Projekts wurden als Versuchskaninchen eingesetzt und kamen nie wieder herunter oder starben. Die CIA richtete in New York und San Francisco Bordelle ein, in denen den Kunden ohne ihr Wissen LSD verabreicht wurde, um hinter einem Einwegspiegel zu beobachten, ob sie plötzlich gesprächiger mit den Damen wurden. MK-Ultra bestand auch aus Patienten, die wegen Depressionen zum Arzt gingen und durch die Elektroschocks in den Händen von fanatischen Psychiatern als Gemüse endeten. Sie wollten herausfinden, ob man eine Persönlichkeit auslöschen und eine neue installieren kann.
Es war auch der Versuch, Gefangene mit Sinnesentzug und Hypnose zum Reden zu bringen. Oder der gescheiterte Versuch, Patrice Lumumba in Zaire zu vergiften. Die Belgier hatten ihn zuerst massakriert.
Man fand kein Wahrheitsserum.
Es gelang nur, die Säure in der Gegenkultur zu verbreiten.
Das Originellste an dem MK-Ultra-Projekt ist jedoch sicherlich die Society for the Investigation of Human Ecology, eine Dachstiftung, die bereits 1953 gegründet wurde, um „das menschliche Verhalten zu verstehen“. Ein solches Ziel bedarf multidisziplinärer Forschung: Medizin, Anthropologie, Psychologie, Biologie, Soziologie, Gruppendynamik, Kommunikation und sogar Informatik – kurz gesagt: eine Wissenschaft der ganzen Umwelt. Sie erfordert die Zusammenführung eines ganzen Puzzles von Fachkenntnissen, die kein Geist allein vereinen kann. Und man muss eine ganze Reihe von Forschern hinzuziehen, denen die Arbeit für die CIA vielleicht widerstrebt. Die Aufgabe der Stiftung wird also darin bestehen, diskret Dissertationen zu den gewünschten Themen anzuregen, sie diskret zu finanzieren und diskret zu verwerten. Was man nicht alles tun muss, um die „Wissenschaft vom Menschen“ zu fördern! An ihrer Spitze steht Harold Wolff, ein renommierter Neurologe und eine Autorität in der Erforschung von „Stress, Migräne und Schmerzmechanismen“, in ihrem Beratungsbüro sitzt, man kann das nicht erfinden, der Star der Anthropologie Margaret Mead und Bezugsnehmer sind unter anderem der Soziologe Erving Goffman oder der Verhaltensforscher B. F. Skinner. Dadurch baute sich die Society for the Investigation of Human Ecology einen soliden Ruf und eine unverdächtige Geschichte auf. Insgesamt finanzierte die CIA Anfang der 1960er zwischen einem Drittel und der Hälfte der Dissertationen, die nicht von den drei großen amerikanischen Stiftungen – Ford, Rockefeller und Carnegie – finanziert wurden, wobei im Übrigen auch diese Stiftungen nie Skrupel hatten, mit der CIA zusammenzuarbeiten. Gelinde gesagt.
Vom MK-Ultra-Projekt ist uns eine Art theoretische und praktische Synthese geblieben: KUBARK, der „Psy“-Folterleitfaden der CIA, der 1963 fertiggestellt wurde, aber in Guantanamo noch immer nützlich ist.
Es ist eine Zusammenfassung dessen, was die CIA über das „menschliche Verhalten“ und die Möglichkeiten seiner Meisterung verstanden hat.
Die Fortschritte der Mind Control haben seither nicht aufgehört.
Wenn es ein Scheitern war, dann ein für die Zukunft offenes Scheitern.