4. The Family of Man
Die Biopolitik ist überall als eine als Tatsache getarnte Politik auf dem Vormarsch.
Ihre Falschheit entspricht der ihr innewohnenden Anmaßung.
Das offizielle Handbuch der US-Armee zur Aufstandsbekämpfung stellt die Theorie auf, dass es die Einrichtung „wesentlicher Dienstleistungen“ ist – Kanalisation, Strom, Benzin, Schulen, medizinische Versorgung und Geld –, durch die die Besatzer die Herzen und Köpfe der einheimischen Bevölkerung erobern, die als eine Ansammlung biologischer Grundbedürfnisse begriffen wird.
Hinter der Idee eines „biologischen Lebens“, das allen „Kulturen“ universell zugrunde liegt, steht eine der Metropole eigene logistische Lebensform, die man überall durchsetzt.
Dies ist das eigentliche Ziel eines Krieges, der sich nie beim Namen nennt.
Die Behauptung, man wolle heilen, bietet dem Wunsch nach Zerstörung die beste Tarnung.
Deklassifizierte Dokumente aus der Zeit des Kalten Krieges belegen, wie alt dieses Manöver ist.
Etwa dieses im Jahr 1959 von der United States Information Agency (USIA) verfasste Dokument mit dem Titel „Forschung über Kommunikation und Operationen der USIS“ (USIS ist der im Ausland operierende Zweig der USIA). Solche Organe haben die Aufgabe, die amerikanische Propaganda in der Welt zu gewährleisten. Sie sind es, die zum Beispiel die großen, so inklusiven Ausstellungen betreiben, die überall die Schönheiten und Freuden des American Way of Life bekannt machen. Das Dokument empfiehlt, bei jeder Operation eine Diagnose der Gefühle zu erstellen, die die anvisierte Nation gegenüber den Vereinigten Staaten hegt, um dann das Publikum zu „behandeln“: Es geht um die Bestimmung geeigneter Kommunikationswege für „eine Prophylaxe zur Vermeidung einer ‚Krankheit‘ und eine Therapie zur Heilung dieser Krankheit“. Der Höhepunkt dieser Propaganda war die Verlegung der American National Exhibition nach Moskau, und das Glanzlicht der American National Exhibition war der Pavillon mit der Ausstellung The Family of Man. The Family of Man verbreitete in einem geschickt entworfenen Durcheinander eine ganze Reihe ergreifender Stereotype, so dass die Vielfalt der Gestalten und Kulturen der Menschheit – von den Zulus in der Wüste über die ungarischen Bauern bis hin zu den amerikanischen Bergarbeitern – in der großen Einheit der biologischen Art aufging, da alle irgendwie geboren werden, aufwachsen, lieben, essen, arbeiten, sich amüsieren, altern und sterben müssen; das Ganze mit tiefgründigen Zitaten aus der Bibel, dem Bhagavad Gita, von Albert Einstein oder der Weisheit der Kwakiutl garniert. Das bilanzierende Fazit eines der Verantwortlichen macht aus seinem Triumphgefühl keinen Hehl: „The Family of Man berührt die Leute auf der emotionalen Ebene, als menschliche Wesen, bis zu einem Punkt, an dem sich ihr Bild von den USA und den Amerikanern verändert. Sie werden indirekt und ohne jegliche ‚Propaganda‘ – eigentlich gerade wegen des Fehlens von Propaganda im üblichen Sinne – aus ihrem üblichen sowjetisch-nationalistischen Bezugsrahmen herausgerissen und bekommen zumindest zeitweise ein Gefühl der Zugehörigkeit zum ganzen Menschengeschlecht als Geschenk gereicht. Gleichzeitig kann ihnen nicht verborgen bleiben, dass es die Vereinigten Staaten sind, ihr vermeintlicher Feind, von denen sie hier so sehr bewegt werden.“
Die ganze schleimige Apologie des Friedens zielte also nur darauf ab, die Verteidigung des sowjetischen Gegners zu schwächen.
Der paninklusive Humanismus der Ausstellung war nur dazu da, den Feind aus der menschlichen Familie auszuschließen.
Das Verfahren ist, um die Wahrheit zu sagen, banal. Nicht banal ist, dass er zu einem universellen politischen Kunstgriff geworden ist. „Eine bessere Welt: integrativer, gerechter und respektvoller gegenüber Mutter Natur“, mit diesem Wunsch fasst Klaus Schwab seinen transhumanistischen Great Reset zusammen.
Mit denselben sentimentalen Mitteln werden seit zwei Jahren diejenigen auf Linie gebracht, die mit der Politik des Epidemiemanagements nicht einverstanden sind – diese „Impfgegner“, die es wagen, sich all dem Guten zu widersetzen, das man ihnen will.
Hinter der von ihr in Szene gesetzten folkloristischen Vielfalt der Kulturen und Identitäten bringt The Family of Man eine vollkommen dogmatische Definition des menschlichen Daseins voran: ein misslungenes, unvollkommenes, abhängiges und vor allem verletzliches Geschöpf. Diesem Wesen gilt die ganze von ihr befohlene Empathie. Alles, was sich der Unterwerfung unter diese Definition verweigert, stellt eine Beleidigung der Spezies dar. Dieses Wesen deckt sich nicht zufällig mit dem Großstadtatom, das der Technologie dafür zu danken hat, dass diese alles tut, um es zu ergänzen, zu verbessern und, wer weiß, eines Tages fortzuentwickeln. Gewiss, der Verlust der Welt macht schwach. Beziehungsarmut verstümmelt. Die tägliche Erfahrung des Abgrunds, der mein soziales Profil von meiner empfindsamen Existenz trennt, ist schmerzhaft. Das ist verständlich. Aber man spielt das Spiel desjenigen, der diesen Zustand organisiert, wenn man diesen zur menschlichen Bedingung erhebt. Genau das ist es jedoch, was die zeitgenössische Identitätspolitik, ganz auf Linie mit The Family of Man, tut – die im Übrigen eine spontane Schwäche für sichtbare biopolitische Merkmale hat, die sich auf Geburt, Rasse, Geschlecht oder körperliche Behinderung konzentrieren und niemals auf ethische Eigenarten. Die Gründung der Liga zur Verteidigung der zarten Wesen gegen die Arschlöcher steht noch aus. Mit ihrem Sicherheitsideal, ihren expliziten Aufrufen zur Zensur und ihrer angeborenen Technikliebe fügt sich die Identitätspolitik als perfekter Kontrapunkt in den aktuellen gesellschaftlichen Chor ein. Die ausschließliche Sorge um die Merkmale des Seins bewahrt glücklicherweise das Subjekt, das ihr Träger ist: die alte Monade des Liberalismus und ihr zermürbendes „ich, ich, ich“. Aber war es nicht das schöne Versprechen von queer, dass wir endlich das verteufelte Verb „sein“ loswerden würden? Diese Identitätspolitik wurde logischerweise mobilisiert, um die selbstbewusste Kraft der George-Floyd-Unruhen in den USA zu zerfressen, um die zusammengesetzte, unerhörte, furchterregende Legierung, die sich dort gebildet hatte, erneut entlang der vereinbarten Linien zu spalten.
Dass diese NGOs, die diese restaurative Biopolitik tragen, weitgehend von den großen amerikanischen Stiftungen finanziert werden, ist ganz legitim.
1968 prophezeite Pier Paolo Pasolini mit seiner gewohnten Klarheit: „In Zukunft wird der Rassismus eher an Intensität und Häufigkeit zunehmen als abnehmen, und zwar aufgrund des Drucks einer Macht, die, obwohl sie weniger sichtbar und weniger persönlich ist, nicht weniger überwältigend sein wird: Und sie wird so erdrückend sein, dass sie das Kollektive, das als Bindegewebe im Produktions- und Konsumprozess dient, zerbrechen und pulverisieren wird; eine derartige Pulverisierung der Gesellschaft in so viele verschiedene, gleichermaßen unterdrückte Formen wird eben den Rassismus vermehren, weil all die kleinen getrennten Teile, in die die zerschlagene Welt zerfallen wird, einander rassisch hassen werden.“ (Pier Paolo Pasolini, Das Chaos, 1968)
Die biopolitische Perspektive, innerhalb eines Kontinuums der Art zu leben, in dem jede Unterscheidung zwischen Freund und Feind untersagt ist, führt unweigerlich zu Erstickungsgefühlen, einem planetarischen Gefühl der Abgeschlossenheit und dem anschließenden Wunsch, zu verschwinden.
Die erzwungene Einschließung in die menschliche Familie, aus der es kein Entrinnen gibt, hat die gleichen psychotisierenden Auswirkungen wie in der traditionellen Familie.
Denn es gibt viele Wesen, die uns schaden.
Es gibt Wesen, die wir hassen, und solche, die uns anekeln.
Es gibt Wesen, die wir lieben, die uns erfreuen und bei denen wir uns weigern, sie für „Menschen wie andere auch“ zu halten.
Wie Foucault in Man muss die Gesellschaft verteidigen (1976) erklärte, kann man in einem biopolitischen Regime, in dem alle ethischen Eigenarten grau sind, nur durch die Grammatik des Rassismus politische Unterscheidungen treffen. Der Feind ist derjenige, der meiner Rasse schadet, der ihr das Blut aussaugt und den ich ausrotten muss, um meine eigene Lebenskraft zu steigern und die Bevölkerung von meinesgleichen Früchte tragen zu lassen. Da wir durch die Biologie vereint sind, müssen wir das Profil des Feindes und die Gründe, ihn zu reduzieren, aus der Biologie schöpfen. Man findet das während der Französischen Revolution im Motiv des Kampfes der gallischen Nation gegen die fränkische Nation des blaublütigen Adels ebenso wie in der amerikanischen Eugenik mit ihrem Versprechen einer optimierten Menschheit, im Rassismus des Nazistaats wie auch in der neokolonialen Anordnung, seine kulturellen Eigenschaften zur Schau zu tragen. So riet Bateson in einem Bericht an das OSS von 1944 zu einer neokolonialen Methode, die in der Folgezeit in großem Stil umgesetzt wurde: „Es ist sehr wichtig, in der überlegenen Bevölkerung die Bereitschaft, Zuschauer zu werden, zu wecken und in der Unterlegenen die Bereitschaft zum Exhibitionismus. […] Man muss feststellen, dass überall, wo der weiße Mann sich als Vorbild sieht und die Einheimischen dazu ermutigt, ihm abzuschauen, wie man die die Dinge macht, dies letztlich zum Entstehen eigener Kulte unter den Einheimischen führt. Dann wird dieses System überlastet, bis sich ein Kompensationsmechanismus entwickelt, durch den die Wiedergeburt der einheimischen Kunst und Literatur zur Waffe gegen den weißen Mann wird (dieses mit Gandhis Spinnrad vergleichbare Phänomen lässt sich in Irland wie anderswo beobachten). Wenn umgekehrt die vorherrschende Nation die indigene Wiederbelebung stimuliert, dann ist das System als Ganzes viel stabiler und die Indigenität kann nicht mehr gegen das vorherrschende Nation eingesetzt werden.“
Hier zeigt sich, dass der Urahn der CIA wusste, dass das Schmeicheln der Identität und der kulturellen Unterschiede der Untergebenen immer noch die beste Methode bleibt, sie zu neutralisieren.
Niemals wurde die uns unterdrückende Ordnung besser aufrechterhalten als seit dem Zeitpunkt, an dem man unser Leiden verbal anerkennt.
Würden wir nicht das Leid der Welt vergrößern, wenn wir es wagen würden, uns tatsächlich gegen sie aufzulehnen?
Seien wir vernünftig.
Weil die Konspirationisten es wagen, einen Feind zu benennen, weil wir die Stirn haben, zwischen „Wir“ und „Die“ zu unterscheiden, werden wir als schreckliche, mehr oder weniger offenkundige Rassisten verschrien. So will es die herrschende Biopolitik. Und da wir behaupten, diese Unterscheidung im Inneren der Gesellschaft zu treffen, haben die Medien leichtes Spiel, uns zu Antisemiten zu erklären, nachdem sie denselben müden Trick schon gegen Nuit Debout und später gegen die Gelbwesten angewandt haben. Dabei schreckt man vor keinem Paradoxon zurück. Der ganze Zweck dieses Manövers besteht darin, jeden entschiedenen Widerstand gegen die bestehende Ordnung mit Antisemitismus gleichzusetzen, um so diejenigen, die es nicht mehr aushalten, in die Enge zu treiben.
Auf diese Weise versucht man zu verschleiern, dass nicht jedes „Wir“ und nicht jedes „Sie“ biopolitisch ist.
Es gibt ethische „Wir“, bei denen bestimmte Vorstellungen vom Leben geteilt werden, bestimmte Bindungen, bestimmte Vorgehensweisen, bestimmte Techniken, kurz: die Erfahrung der Welt.
Es gibt auch politische „Wir“, die mit einer Konfliktsituation verbunden sind, in der jeder Partei ergreift.
Es gibt nicht nur „Wir“ der Zugehörigkeit, attributive „Wir“, die auf der äußerlichen, kategorialen, biografischen Teilhabe an einer gesellschaftlichen Identität beruhen.
Man kann, nach reiflicher Überlegung und Prüfung aller Elemente, Bill Gates, Mark Zuckerberg, Emmanuel Macron, die Rockefeller-Stiftung, DARPA, Bolloré, Cargill, die Europäische Kommission, die WHO, die großen globalen Beratungsfirmen, Goldman Sachs, Louis Dreyfus, Bayer-Monsanto oder die multinationalen Pharmakonzerne als Feinde betrachten, ohne dabei an die Eröffnung von Konzentrationslagern zu denken.
Aber diese Vorstellung ist nicht tolerierbar.
Denn sie zu tolerieren hieße, den Schleier über dem grundlegenden Betrug der Biopolitik zu lüften.