Kropotkin Die kommende Revolution
Skript
Teil I
Unzweifelhaft gehen wir mit großen Schritten einer Revolution entgegen, einer Bewegung, die, in einem Lande ausbrechend, sich durch alle benachbarten Länder ausbreiten und, die bestehende Gesellschaftsordnung bis ins Innerste erschüttern wird.
Es gibt Abschnitte im Leben der Menschheit, wo die Notwendigkeit einer heftigen Aufrüttelung, einer Umwälzung sich unter allen Gesichtspunkten als notwendig erweist.
In diesen Momenten fängt jeder Mensch, der ein Herz hat, an zu sagen, daß es so nicht weitergehen kann; daß es großer Ereignisse bedarf, die gewaltsam den Faden der Geschichte abreißen, die Menschheit aus dem alten Geleise, in das sie hineingeraten ist, hinausschleudert und sie in neue Bahnen wirft, einem Unbekannten entgegen. Man fühlt die Notwendigkeit einer riesigen, unerbittlichen Revolution, die kommen muß: nicht nur die wirtschaftliche Herrschaftsordnung umzuwälzen; nicht nur um das Gerüst der politischen Macht zu stürzen; sondern auch um die Gesellschaft in ihrem Gedanken- und Gefühlsleben zu bewegen, die Erstarrung wachzurütteln, die Sitten umzugestalten.
Es macht sich ein Bedürfnis nach einem neuen Leben fühlbar. Die Vorschriften der konventionellen Moral, welche die Mehrzahl der Menschen in ihrem täglichen Leben leiten, erscheinen nicht mehr als genügend. Man bemerkt, daß dies und jenes, was für gerecht gehalten wurde, eine schreiende Ungerechtigkeit ist; die Moralität von gestern wird heute als die ärgste Immoralität erkannt. Der Kampf zwischen den neuen Ideen und den alten Traditionen bricht innerhalb aller Gesellschaftsklassen, in jeder Umgebung aus, dringt bis in den Schoß der Familie. Die Kinder geraten mit ihren Eltern in Gegensatz; der Sohn findet empörend, was sein Vater sein ganzes Leben hindurch als ganz natürlich angesehen; die Tochter empört sich gegen die Grundsätze, welche ihre Mutter ihr als Frucht langer Erfahrungen überliefert hat.
In solchen Zeiten, wo die aufgeblasene Mittelmäßigkeit jeden Verstand erstickt, der sich nicht vor den Hohepriestern auf die Knie wirft, wo die Moral der goldenen Mittelstraße das allgemeine Gesetz ist und die Gemeinheit siegreich herrscht – in diesen Zeiten wird die Revolution zur Notwendigkeit. Die ehrlichen Menschen aller Gesellschaftsklassen rufen den Sturm herbei, damit dieser mit seinem Feueratem die Pest, die uns erstickt, verbrenne, den Moder, der uns verzehrt, wegfege, in seinem Rasen alle Trümmer der Vergangenheit, die auf uns lasten, uns ersticken, uns Licht und Luft nehmen, zerstreue; damit er endlich…
In der dumpfen Fabrik wie in der Arbeiterkneipe, in den Dachstuben wie in den tropfenden Gassen des Bergwerkes entwickelt sich eine ganz neue Welt. In diesen düsteren Massen, die die Bourgeoisie in dem Maße verachtet, wie sie sie fürchtet, da werden die schwersten Probleme der Nationalökonomie und der politischen Organisation, eines nach dem anderen aufgestellt, besprochen und auf neue Art gelöst.
Die Krankheiten der gegenwärtigen Gesellschaftsorganisation werden schonungslos aufgedeckt. Neue Bestrebungen entstehen, neue Ideen beginnen sich zu entwickeln. Die Meinungen kreuzen sich und wechseln ins Unendliche; aber zwei Hauptideen tönen bereits immer deutlicher aus diesem Stimmengewirr heraus: die Abschaffung des Eigentums, der Kommunismus einerseits; und andererseits die Abschaffung des Staates, die freie Gemeinde, die internationale Vereinigung der arbeitenden Bevölkerung. Der Mensch begreift mehr und mehr, daß das Glück des vereinzelten Menschen nicht möglich ist; daß dasselbe nur im Glück aller – im Glück der ganzen Menschheit – gesucht werden kann.
Teil II
„Aber man hat sie so oft angekündigt, diese Revolution. Ich selbst habe für einen Moment an sie geglaubt, und sie kommt doch nicht!“
Am 18. März erhob sich das Volk von Paris gegen eine allgemein verachtete und verabscheute Regierung und erklärte Paris für eine unabhängige, freie, sich selbst verwaltende Stadt. Dieser Umsturz der zentralistischen Staatsmacht vollzog sich ohne die bei einer Revolution gewöhnlichen Erscheinungen, ohne Flintenschüsse und Ströme von Blut, die auf den Barrikaden vergossen werden. Die Gewalthaber flüchteten vor dem bewaffnet in den Straßen erschienenen Volke, die Truppen räumten die Stadt, die Beamten machten sich in aller Eile auf den Weg nach Versailles. Die Regierung verschwand wie eine Pfütze stinkenden, faulen Wassers beim Wehen des Frühlingswindes, und am Morgen des 19. März fand sich Paris vom Schmutze befreit, der die große Stadt verpestet hatte.
Jene Kämpfer waren sich allerdings selbst nicht klar, weder über das Wesen der Revolution, die sie ins Werk setzten, noch über die Fruchtbarkeit des neuen Prinzips, welches sie zu realisieren suchten. Die Kommune von 1871 konnte nichts anderes sein als ein erster schwacher Versuch: Entstanden am Ausgange eines Krieges, bedroht von zwei Armeen, die bereit waren sich zu verbinden, um das Volk zu unterjochen, wagte sie nicht, sich vollständig auf das ökonomische Gebiet zu werfen. Sie erklärte sich nicht als sozialistisch und schritt weder zur Expropriation des Eigentums noch zur Organisation der Arbeit. Sie brach nicht einmal mit der Tradition des Staates oder der Repräsentativ-Regierung.
Allerdings, wenn wir uns ausschließlich an die wirklichen und greifbaren Taten der Kommune halten würden, dann müssten wir sagen, daß dieser Gedanke nicht umfassend genug war, daß er nur einen einzigen Teil des revolutionären Programmes enthielt. Wenn wir uns dagegen an den revolutionären Geist halten, an die Tendenzen, welche sich zur Geltung zu bringen strebten und keine Zeit hatten, zu Tatsachen zu werden, weil sie schon in der Knospe unter Bergen von Leichen erstickt wurden – dann werden wir die ganze Tragweite jener Erhebung und die Sympathien verstehen, welche sie den Arbeitermassen beider Welten einflößt. Die Kommune begeistert die Herzen nicht durch das, was sie getan hat, sondern durch das, was sie dereinst zu tun imstande ist. Erst seit jenem praktischen Versuche kam man dazu, die künftige Ausdehnung des Begriffs zu übersehen, und erst durch die Arbeit der Gedanken, welche seit jener Zeit vor sich ging, wurde das neue Prinzip mehr und mehr geklärt und genauer formuliert. Mit dem Worte „Pariser Kommune“ wurde eine neue Idee geboren, eine Idee, die dazu berufen ist, die Ausgangsbasis zukünftiger Revolutionen zu werden.
Teil III
Dem menschlichen Geist widerstrebt es, sich in eine Arbeit des Niederreißens zu stürzen, ohne sich eine Idee darüber zu bilden – wenn auch nur in wenigen, wesentlichen Zügen -, was das zu Zerstörende ersetzen könnte. Wenn man aber alle jene fragte, die auf die Schaffung der Kommune hinarbeiten, was man tun müsse, welch ein schreckliches Kauderwelsch von widersprechenden Antworten würde man erhalten! Soll man im Namen der Kommune von den Werkstädten Besitz nehmen? Kann man die Wohnhäuser anrühren und dieselben zum Eigentum der aufständischen Stadt erklären? Soll man von allen Lebensmitteln Besitz ergreifen und die rationsweise Verteilung derselben organisieren? Soll man allen aufgehäuften Reichtum als gemeinsames Eigentum des Volkes erklären und dieses mächtige Werkzeug zur Befreiung anwenden? Über keine dieser Fragen gibt es eine klare Meinung unter den Revolutionären.
Am Tage einer Revolution wird der staatliche Kollektivist, der Sozialdemokrat nach dem Parlament eilen und von dort seine Verordnungen über das System des Eigentums erlassen; er wird bestrebt sein, sich als eine mächtige Regierung einzusetzen, welche die Nase in alles hineinsteckt und Statistiken und Regeln über die Anzahl der Hühner im kleinsten Dorf aufstellt. Der Anhänger der unabhängigen Kommune wird auch aufs Stadthaus eilen und sich als Regierung einzusetzen versuchen; er wird verbieten, daß man das heilige Eigentum antastet, solange der Gemeinderat dies nicht für zweckmäßig hält. Der kommunistische Anarchist wird hingegen das Prinzip verkünden, daß man sich um das Parlament und die Gemeinden nicht kümmern soll. Die Arbeiter sollen an Ort und Stelle sofort die Werkstätten, Häuser und Getreidemagazine, kurz den gesamten gesellschaftlichen Reichtum zum Besitz der Gemeinschaft erklären sollen. Der kommunistische Anarchist wird keine „revolutionäre Regierung“ erwählen, sondern in jeder Kommune, jeder Gruppe versuchen, das gemeinsame Produzieren und Konsumieren zu organisieren.
Die Idee ist, daß Arbeiterorganisationen für Produktion, Austausch und Verteilung die Stelle der bestehenden kapitalistischen Ausbeutung und des Staates einnehmen werden. Dabei werden alle Güter sofort beim Beginn der sozialen Umwälzung in die unentgeltliche Nutznießung aller übergehen. Nehme jeder aus den Vorräten, was er nötig hat, und halten wir uns versichert, daß die Kornläden unserer Städte genug Nahrungsmittel enthalten, um alle bis zu dem Tage zu speisen, an welchem die freie Produktion ihren Anfang nehmen wird. In den Kleidermagazinen der Städte ist Vorrat genug, um alle zu bekleiden. Ja sogar genügend Luxusgegenstände sind vorhanden, um jedermann nach seinem Geschmacke Auswahl zu gestatten. Richtet euch häuslich in den Palästen und herrschaftlichen Häusern ein und macht ein Freudenfeuer aus den Haufen von Ziegeln und verrottetem Holz, welche euere Behausung gebildet hatten.
Der Instinkt der Zerstörung, so natürlich und gerecht, wenn derselbe gleichzeitig ein Instinkt der Erneuerung ist, wird reichlich seine Befriedigung finden. Wie viel alter Kram muß durch Neues ersetzt werden! Ist nicht alles neu zu schaffen: die Häuser, die Städte, die landwirtschaftlichen und industriellen Arbeitsmittel – mit einem Wort: das gesamte Material der ganzen Gesellschaft? Können wir auch nur für einen Augenblick annehmen, daß diese Riesenarbeit der Revision und Reformation sich durch einen einfachen Regierungswechsel beruhigen kann? Die Kommune, die sich heute in unserem Jahrhundert der Eisenbahnen und Telegraphen, der internationalen Wissenschaft entwickelt, wird Besseres zu tun wissen. Sie wird in Wahrheit und nicht nur dem Namen nach eine Kommune sein. Revolutionär in politischer Beziehung, wird sie in den Fragen ihrer Produktion und des Austausches revolutionär vorgehen. Sie weiß, daß es keinen Mittelweg gibt: entweder wird die Kommune vollkommen frei sein, um sich sämtliche Einrichtungen zu geben, die sie will, oder sie wird bleiben, was sie bis heute war, eine bloße Filiale des Staates, gefesselt in all ihren Bewegungen. Sie weiß, daß sie den Staat zerstören und denselben durch die Föderation ersetzen muß, und sie wird demgemäß handeln.
Die kommende Revolution wird einen allgemeinen Charakter haben, welcher sie von allen früheren Revolutionen unterscheiden wird. Es wird nicht mehr ein Land sein, welches sich in die Umwälzung stürzt, sondern es werden alle Länder sein. Eine kleine Gemeinde könnte heute nicht acht Tage lang leben, ohne durch die Kraft der Ereignisse selbst gezwungen zu sein, sich mit den Mittelpunkten des industriellen, kommerziellen, künstlerischen Lebens in regelmäßige Verbindung zu setzen; und diese Mittelpunkte würden ihrerseits das Bedürfnis empfinden, ihre Tore für die Bewohner der Nachbardörfer, der umliegenden Gemeinden und der fernen Städte weit aufzutun. Dank der unendlichen Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse stehen schon heute alle bewohnten Orte mit mehreren Zentren in Verbindung, und in dem Maße, wie ihre Bedürfnisse steigen, werden sie sich zur Befriedigung derselben an neue Zentren anschließen.
Wenn wir eine ökonomische Karte, ganz gleich von welchem Lande, zur Hand nehmen, so werden wir finden, daß es feste wirtschaftliche Grenzen nirgends gibt. Die Produktions- und Austauschzonen der verschiedenen Produkte dringen eine in die andere ein, sie verwickeln sich ineinander und decken sich gegenseitig. Ebenso werden die Föderationen der Kommunen einander kreuzen, umgeben und decken, und auf solche Art zu einem festen Geflecht auswachsen. Dieses Geflecht zergliedert sich in eine Vielheit von Assoziationen, die sich zu allen gemeinsame Arbeit erfordernden Zwecken zusammenschließen: zu Bünden zum Zwecke der Produktion jeder Art, der landwirtschaftlichen, industriellen, rein geistigen oder künstlerischen; zu Konsumgemeinden, die für Wohnungen, für Beleuchtung und Heizung, für Nahrungsmittel, sanitäre Einrichtungen usw. Sorge tragen. Alle diese Gruppen wirken in freier gegenseitiger Vereinbarung zusammen.
Für uns bedeutet „Kommune“ also nicht mehr eine territorial abgegrenzte Anhäufung menschlicher Wohnungen; vielmehr handelt es sich um einen Gattungsnamen, einen sinnverwandten Ausdruck für eine Gruppierung von Gleichen, die weder Grenzen noch Mauern kennen. Die soziale Kommune wird bald aufhören, etwas genau Bestimmbares zu sein. Jede Gruppe der Kommune wird notwendigerweise zu gleichartigen Gruppen anderer Kommunen engere Beziehungen unterhalten und sich mit ihnen föderieren. Und die Bünde, welche die verwandten Gruppen verschiedener Kommunen aneinander knüpfen, werden zum mindesten ebenso dauerhaft sein wie das Band, welches die einzelnen Gruppen einer Kommune zusammenhält. Diese Gruppenverbindung wird dergestalt eine Interessenkommune bilden, deren Mitglieder über zahllose Städte und Dörfer zerstreut sind.
Es wird Tausende solcher Kommunen geben, und diese werden nicht mehr untereinander abgegrenzt sein, sondern sie werden sich über Flüsse, Gebirge und Meere hinweg die Bruderhand reichen, und alle Individuen und Völker, die über den Erdball zerstreut leben, in eine große Familie von Gleichen vereinigen. Diese neue Gesellschaft besteht aus einander gleichgestellten Mitgliedern, die nicht mehr gezwungen sind, Hand und Kopf an andere zu verkaufen und sie von diesen in beliebiger, planloser Weise ausnützen zu lassen; sie können vielmehr ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zielbewußt der Produktion zuwenden im Rahmen eines Organismus, der dabei für die individuelle Initiative vollen Spielraum läßt.
Teil IV
„Alles, was ihr behauptet, ist sehr richtig. Euer Ideal des anarchistischen Kommunismus ist vortrefflich, und seine Verwirklichung würde tatsächlich den Wohlstand und den Frieden auf der Erde schaffen; aber wie wenige begehren, wie wenige verstehen es, und wie wenige haben die nötige Hingebung, um für seine Verwirklichung zu arbeiten! Ihr seid nur eine kleine Minorität, ein paar schwache, hier und da verstreute Gruppen, verloren in der Mitte einer gleichgültigen Masse; und ihr steht einem furchtbaren, wohlorganisierten Feind gegenüber, welcher Waffen, Kapital, Kenntnisse besitzt. Der Kampf, den ihr unternommen, übersteigt eure Kräfte.“
Daß unsere anarchistischen Gruppen nur eine kleine Minderheit im Vergleich zu den Millionen von Menschen sind, welche Frankreich, Italien, Spanien, Deutschland bevölkern – das ist sehr wahr. Alle Gruppen, welche eine neue Idee vertreten, waren im Anfang bloß eine Minderheit. Und es ist sehr wahrscheinlich, daß wir als Organisation bis zum Tage der Revolution eine Minderheit bleiben werden. Aber ist dies ein Argument gegen uns? – In diesem Augenblick sind es die Opportunisten, die die Mehrheit bilden: sollen wir deshalb vielleicht auch Opportunisten werden? Die Geschichte ist da, um uns zu zeigen, daß jene, die am Vorabend der Revolution in der Minorität waren, am Tage der Revolution zur überwiegenden Mehrheit werden, wenn sie den wahren Ausdruck der Bestrebung des Volkes darstellen und wenn die Revolution eine gewisse Zeit andauert, damit die revolutionäre Idee sich verbreiten kann Denn, vergessen wir es nicht, es ist nicht durch eine Revolution von ein oder zwei Tagen, daß es uns gelingen wird, die Gesellschaft umzugestalten. Ein Aufstand von kurzer Dauer kann wohl eine Regierung stürzen, um eine andere an deren Platz zu setzen; aber er wird nichts an den Grundlagen, den Einrichtungen der Gesellschaft ändern. Es ist ein ganzer revolutionärer Zeitraum von Jahren, den wir durchmachen werden müssen, um unsere Revolution in der Herrschaftsordnung des Privateigentums und in der Gruppierungsform der Gesellschaft zu vollbringen. Fünf Jahre von fortwährenden Aufständen von 1788 bis 1793 waren notwendig, um in Frankreich die Herrschaft des feudalen Grundeigentums und die unbeschränkte Macht des Königtums zu stürzen; es wird wohl mindestens ebensoviele Jahre dauern, um die Feudalherrschaft der Bourgeoisie und die Allmacht der Geldherrschaft niederzuwerfen.
Es wäre ein verderblicher Irrtum zu glauben, daß die Idee der Expropriation bereits den Geist aller Arbeiter durchdrungen hätte. Weit entfernt davon. Es gibt Millionen, die außer durch deren Gegner nie davon reden gehört haben. Wir wissen allerdings, daß die Idee der Expropriation hauptsächlich während der sozialen Umgestaltung selbst Anhänger gewinnen wird, zu Zeiten, wo jedermann ein Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten nimmt, wo alle Leute lesen, diskutieren, handeln und wo gerade die klarsten und einfachsten Ideen imstande sind, die Massen mit sich zu reißen. Es ist gerade während dieser Zeit der Aufregung, da der menschliche Geist mit beschleunigter Kraft arbeitet. In einer solchen Zeit wird er die anarchistische Idee, heute mit vollen Händen durch die bestehenden Gruppen gesät, annehmen. Dies ist die Zeit, wo diejenigen, die heute gleichgültig sind, zu überzeugten Anhängern der Idee werden.
Rufen wir nur in Erinnerung zurück, welch ein trauriges Bild Frankreich einige Jahre vor der Revolution bot, und welch eine kleine Minorität jene bildeten, die von der Abschaffung des Königtums und des feudalen Systems träumten. Eine tiefe Verzweiflung ergreift die vereinzelten, wenigen Revolutionäre jener Zeit, wenn sie um sich blicken, und Camille Desmoulins sagte mit Recht: „Wir waren kaum ein Dutzend Republikaner in Paris von 1789“ Während des ganzen Jahres 1788 sind es nur kleine zerstreute Aufstände der Bauern; wie die kleinen Einzelstreiks von heute, brechen sie hier und dort an der Oberfläche aus, aber bald werden sie ausgedehnter, allgemeiner, schärfer, schwerer zu unterdrücken. Dasselbe wird in der Revolution der Fall sein, deren Kommen wir vorhersehen. Die Idee des anarchistischen Kommunismus, heute bloß durch schwache Minoritäten vertreten, aber sich immer klarer gestaltend, wird sich ihren Weg in der großen Masse bahnen. Bald düster, bald spöttisch, aber immer kühn; bald kollektiv, bald rein persönlich, vernachlässigen sie kein Mittel, das ihr in den Weg kam, keinen Umstand des öffentlichen Lebens, um die Geister immer wach zu halten, um der Unzufriedenheit Form zu verleihen und dieselbe zu verbreiten, um den Haß gegen die Ausbeuter zu entfachen, die Regierungen der Lächerlichkeit preiszugeben, ihre Schwächen aufzudecken – und um, vor allem und immer, den Mut, den Geist der Empörung in den Menschen durch das Beispiel zu erwecken.
Vielleicht bleibt die Masse im Anfang gleichgültig. Wenn sie auch den Mut der einzelnen oder der Gruppe, welche den Anfang macht, bewundert, wird sie vielleicht vorläufig noch den „Vernünftigen“, den Vorsichtigen folgen, die sich bemühen, jede mutige Aktion als „Verrücktheit“ zu brandmarken und zu sagen, daß „die Narren, die hirnverbrannten Querköpfe alles kompromittieren werden“. Sie hatten es sich so schön ausgerechnet, diese Vernünftigen und Vorsichtigen, daß ihre Partei, langsam ihren Weg gehend, in hundert, oder vielleicht in zwei- bis dreihundert Jahren die ganze Welt erobern wird – und nun mischt sich das Unvorhergesehene hinein: das heißt, das, was ihre Weisen und Bedächtigen nicht vorhergesehen haben. Von dieser Zeit angefangen wird die Gleichgültigkeit unmöglich. Jene, die im Anfang nicht einmal danach fragten, was die „Narren“ eigentlich wollen, fühlen sich dann gezwungen, sich damit zu beschäftigen, ihre Ideen zu besprechen, für oder gegen dieselbe Partei zu nehmen. Durch die Ereignisse, die sich der allgemeinen Aufmerksamkeit aufdrängten, drang die neue Idee in die Köpfe ein und gewann Nachfolger. Die Verwirklichung dieser Idee, an tausend Punkten des Landes auf einmal ausbrechend, wird die Bildung was immer für einer Regierung, welche fähig wäre, die Ereignisse aufzuhalten, verhindern und die soziale Umgestaltung der Grundlage unseres Lebens wird vorangehen, bis sie ihre Aufgabe: die Abschaffung des Privateigentums und des Staates erfüllt hat.