Nur für internen Handgebrauch
Medienecho nach einer Aktion gegen die Volksbühne
Die Flugblattaktion vor der Volksbühne am 16.9. sprach für sich selbst: „Impft euch ins Knie!“ und „Ihr müßt ins Theater!“. Das wars eigentlich schon. Wie bei analogen und exemplarischen Aktionchen gegen die Weihnachtsmärkte, die Disko (Berghain und Schwuz), die Universität (FU), einige Staatsanarchisten (La Stella Nera) oder die Linkspartei kam es nur darauf an, einen Kontrapunkt gegen den grasierenden Unsinn zu setzen. Der Unterschied beim Theater war nur das Medienecho. Wenn man sich auf der Ebene des Spektakels bewegt, bekommt man Spektakel und so war der Effekt dieser kleinen Protestaktion gegen die Hygienebühne am Rosa-Luxemburg-Platz eine Reihe Erwähnungen im Feuilleton.
Faz, Taz, Welt, Tagesspiegel, Deutschlandfunk und WDR wußten sofort, dass es sich um Querdenker handelte. Aber neben dieser Worthülse gibt es auch hübschere Darstellungen, etwa wenn Ute Büsing vom RBB meint, dass vor der Volksbühne „Impfgegner krakelten“ oder Felix Müller in der Berliner Morgenpost von „impfgegnerischen Wirrköpfen“ schreibselt. Wolfgang Höbel vom Spiegel lockt gar mit „gewalttätigen Impfgegnern“, die „für Krawall vor dem Haus“ sorgten und Ulrich Seidler gibt sich in der Berliner Zeitung die Blöße, dem Protest einen ganzen Abschnitt zu widmen. Obligatorisch muß er die Protestler „Schwurbler“ nennen, hat dann aber doch eine Spur zu freundlich mit ihnen geredet und sogar irgendeinen „gemeinsamen Punkt“ mit ihnen gefunden. In seiner formellen Ablehnung wird er beinahe poetisch: „Vorwiegend müde quittiert die Menge eine Aktion von Impfgegnern, die mit lärmendem Hohn uns hoffnungslos verstrahlten Kulturzombies vorwerfen, die Gesellschaft zu spalten.“ Er bemerkt dann seine übergebührliche Faszination und entschuldigt sich: „Das ist vielleicht auch schon zu viel Aufmerksamkeit, auf die diese Leute ja spekulieren.“
Aber andererseits existiert im Kulturbetrieb eingestandenermaßen die Langeweile. „Spiegelt euch im Nichts“ stand schon in einem der verteilten Flugblätter und entsprechend ist das Stück durchgefallen. Seidler, der nach seiner Behandlung des Protests „zum Eigentlichen fortschreitet“, ist noch höflich: „Es ist eine der weniger schwungvollen Polleschiaden geworden“ und daß war „natürlich Absicht“, nämlich ein „Statement zu den übermächtigen Erwartungen“ überhaupt sei dieser „gelassene und selbstbezogene Abend eine Ansage: Wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen.“
Aus der Ruhelage gerät auch Erik Zielke nicht, der im Neuen Deutschland schon irgendwie will, daß die Volksbühne „wieder Spiegel der Verhältnisse“ wird, dann sogar und ohne Grund Lenin erwähnt, nur um schließlich ebenso wie Seidler die durch die Schauspielerei dargebotene Ödnis in eine Tugend umzulügen: „Das Unterlaufen jeglicher Erwartungen als Spielprinzip dürfte kein schlechter Einstieg sein.“ Andere sind deutlicher. „Hier beginnt nichts Neues“ lamentiert der Höbel vom Spiegel: Eine „launige Welcome-Back-Show ohne Aufbruchstimmung“. Die Ute Büsing vom RBB bemängelt den „dünnen Text“, und der Rüdiger Schaper fragt im Tagesspiegel: „Hat René Pollesch nichts zu sagen?“, denn das Stück war dann doch „eine große Enttäuschung“ bzw. „enttäuschend lahm“. Dabei hat man sich nach André Mumot vom Deutschlandfunk eben „viel erwartet von diesem Neustart“ und Bernd Noack für die Neuen Zürcher Zeitung erläutert warum: „Der Regisseur René Pollesch soll einmal mehr für lebendiges und provokantes Theater sorgen“, allein „sein Auftakt wirkt jedoch lau“. Etwas frustriert schreibt dann auch Janis El-Bira für die Nachtkritik: „Um Karl Marx geht es eigentlich nicht an diesem Eröffnungsabend für René Polleschs Intendanz an der Berliner Volksbühne.“
Bei allen übertrieben Erwartungen und dem angeblich auch noch absichtlichen Unterlaufen eben dieser Erwartungen ist die Frustration nicht weit, denn auch der Kulturfuzzi will auch unterhalten sein. Klar ist er geimpft, trägt trotzdem eine Feinstaubmaske und läßt zwischen sich und seinem Sitznachbar brav nen Platz frei, aber ein wenig Farbe ins Grau wär ihm recht. Ehrlich daher Sophie Diesselhorst für die deutsche Bühne: „War man zu Anfang der Vorstellung noch froh, den lauten Querdenkern entronnen zu sein, die die Eröffnungs-Öffentlichkeit vor dem Theater als Bühne für eine wirre ‚Protestaktion‘ nutzten, wird es schon bald ein bisschen langweilig.“ Da werden die „impfgegnerischen Wirrköpfe“ wieder spannender, die doch, so Colette M. Schmidt im österreichischen Standard, mit ihrem „ungeschicktem Protest“ immerhin eine „schlechte Kunstperformance“ boten. „Kaum ist man da, wird man beschimpft“ freut sich auch Felix Müller in der Morgenpost, denn immerhin gibt es eben „Radau“ und sogar „eine kleine Verfolgungsjagd mit der Polizei. Das Publikum steht amüsiert auf den Treppenstufen und sieht sich das alles an. Die Volksbühne ist zurück.“ Die Katrin Müller von der Taz wieder kann ihre Tumultlust nicht zugeben und muß beleidigt anmerken, daß „kaum jemand“ das Flugblatt liest, aus dem sie dann doch zitiert. Aber andere geraten geradezu in Verzückung: „Was für ein Auftakt! Was für ein Spektakel!“, schreibt Konrad Kögler auf dem Kulturblog und freut sich über die willkommene Abwechslung, die ihm vorkommt wie ein Actionfilm: „Mit quietschenden Reifen und Blaulicht schossen die Polizeiwagen um die Ecke in einer wilden Verfolgungsjagd auf sogenannte Querdenker, die die Party-Stimmung rund um das Zirkuszelt auf dem Theater-Vorplatz störten. Wie kann man solch ein Live-Spektakel toppen?“ Janis El-Bira amüsiert sich auf Nachtkritik über „Menschen, Viren, Sensationen“; die „Verschallerten“ machen „Anti-Corona-Krawall“ und André Mumot Im Deutschlandfunk geht in seiner Langeweile sogar soweit, zu behaupten: „Es sind die Impfgegner, die das erste große Theaterspektakel der neuen Ära einleiten.“
Die feuilletonistische Krawallsucht findet dabei grundsätzlich ihre Ergänzung in der rituellen Verunglimpfung der ihnen verwirrt erscheinenden Protestler. Projektion und Abwehr, Freud hilf! Die Wahrheit ist, dass die ganze Aktion eher schüchtern und lustlos durchgeführt war, die Aufregung war Fantasie. Insbesondere gab es keine Gewalt, mag die Presse auch schreiben, daß „einer der Querdenker einen Volksbühnen-Mitarbeiter angegriffen haben soll“ und „die Polizei wegen Körperverletzung ermittelt“. Im Grunde lief die Sache nur wegen der penetranten Lautsprecherdurchsage, die der Flugblattaktion einen Rahmen gab. Um diese Durchsage zu unterbinden, haben einige Theaterleute leicht geschubst, mehrmals den Strom unterbrochen und immer mal wieder das Transparent weggerissen. Aber das hielt sich in Grenzen. Als dann die Polizei unaufgeregt anrückte und die Protestler langsam und unkoordiniert den Rückzug antraten, ist das Rumpelstilzchen der Volksbühne hinterher. „Sie hauen ab!“. Dabei wurde er seinerseits wohl leicht geschubst und legte eine Schwalbe hin, wie einst Andi Möller im einem Spiel gegen den Karlsruher Sportclub. Er hat sich dabei immerhin einen leichten Krampf zugezogen, konnte aber sofort wieder herumspringen und weiter Leute denunzieren. „Husch, husch, ab ins Körbchen“. Ein unschädliches Präparat mit Nerven aus Schießbaumwolle. Inkarnation des gegenwärtigen Autoritarismus. Die Sache war an sich gleich Null, aber auf diese Weise kam es dann zu den schon erwähnten quietschenden Autos und der Verfolgungsjagd, mit dem Ende, dass eine Person festgenommen wurde, was wahrscheinlich noch die ruppigste Aktion des Abends war, aber auch im Rahmen der üblichen polizeilichen Maßnahmen blieb. Ansonsten gab es wohl noch einige Schlösser, die symbolisch die Theatertüren blockieren und der Standard meinte gar, diese besondere Frechheit sei der Grund des Polizeieinsatzes gewesen: „Mit wenig Bedacht auf die Gesundheit von Mitmenschen blockieren sie die vorgeschriebenen Rettungszufahrten, die Polizei muss gerufen werden“. Aber das war doch eher der Grund dafür, daß man die Flex geholt hat, „denn“, so die Berliner Zeitung, „die Techniker haben die Schlösser schneller wieder aufgeflext, als man die Nummer eines Schlüsseldienstes in sein Telefon tippen kann.“
Einige wackere Volksbühnenmitarbeiter hatten also irgendwann damit begonnen, den Lautsprecherwagen der Protestler bedrängten. In den Worten von Ulrich Seidler: „Die Volksbühnen-Mitarbeiter reagieren routiniert“. Die routinierte Reaktion der Mitarbeiter bestand im wesentlichen in folgender auf Video festgehaltener Schimpftirade: „Spasti. Ihr seid so Spacken. Ich kenn Dich von der Sonderschule. Ihr mit eurem Spatzenhirn. Endlich bist du mal wer. Ihr seid Aussatz! Geht zurück nach Baden-Württemberg, da kommt ihr her. Ab nach Schwaben. Da gehört ihr hin! Genau unsolidarisch den Kindern gegenüber. Ihr seid einfach nur ignorante Arschlöcher. Zu nix habt ihr es gebracht. Zu nix!“ Besonders penetrant war dabei der schon erwähnte spezielle Volksbühnenclown. Stein des Anstoßes war dabei auch ein Mädchenchor, denn, nochmal Seidler, die Volksbühnenarbeiter „sind aber auch echt sauer, weil die Schwurbler den Auftritt des Mädchenchors stören.“ Nach Taz begab es sich so: „Ein Kinderchor singt neben einem Zirkuszelt zur freundlichen Rahmung des Abends“. Präziser dann der Standard: „Ein Mädchenchor singt vor dem Zelt, während Besucherinnen und Besucher sich noch anstellen, um ihr Impfzertifikat oder Testergebnis vorzuzeigen und einen Stempel zu erhalten“. Tatsächlich hatten einige Kinder hinter einer Absperrung und unter Einhaltung des Mindestabstandes direkt neben dem als Gesundheitscheckpoint dienenden Zelt zu singen begonnen, just bevor die Protestler ihre Durchsage starteten. Die Kinder haben sofort aufgeregt miteinander getuschelt, ohne sich weiter um die von den Erwachsenen eingeforderte Hygiene zu halten und die sie begleitende Pianistin hat spontan Mackie Messer improvisiert, den Lautsprecher der Protestler aufnehmend. Versteht sich also, daß diejenigen, die ihre Kinder in den Schulen unter Masken stecken und sie dann den 3G-Test musikalisch begleiten lassen, „echt sauer“ werden.
Dann gibt es noch die linke Presse. Erik Zielke erwähnt im Neuen Deutschland immerhin, daß die Protestler „ebenfalls mit roter Fahne ausgestattet“ waren und überhaupt „der ohnehin immer rechte Coronaleugner eine unterkomplexe Darstellung ist.“ Letzteres Statement richtet sich auch gegen den armen Pollesch selbst, der im Interview mit derselben Zeitung ganz unterkomplex davon phantasiert, dass „für uns jetzt der ganz praktische Umgang mit rechten Impfgegnern vorm Haus ein Thema“ ist. Andreas Hahn wieder wagt es in der Junge Welt sogar, zu zitieren. „Eines ihrer Flugblätter, im typischen Volksbühnen-Stil layoutet, sagt: »Die Impfmuffel müssen halt draußen bleiben!«“ Diesem theaterinteressierten Individuum ist dabei die obligatorische Testung so sehr zur zweiten Natur geworden, daß er dies für eine „bisher noch inkorrekte Behauptung“ hält. „Nur wer keine Eintrittskarte hat, muss »draußen bleiben«“. Hat von den neuen G-Regeln nichts gehört oder kann sich nicht vorstellen, daß eine Impf- und Maskenmuffel auch ein Testmuffel ist. Aber am Ende muß er ins Theater und nicht die Protestler. Die nämlich „machten es sich einfach (an dieser Stelle)“. Man wird nie erfahren, an welcher Stelle sie es sich nicht einfach machten.
Neben den ganzen Pressefuzzis der offiziellen Zeitungen gibt es natürlich auch immer die Twitterviecher. Friedenswatch, Stadtrandaktion und andere digitale Zombies tweeten ihre Denunziationen im Kreis. Man muß mit solchen Stalkern rechnen, es handelt sich dabei um „Miniwächter der Ordnung“. Sie haben aber etwas Zulauf bekommen. Insbesondere ein Miniblogger mit dem Namen Tintenklecks schwurbelt von einer „besonders kruden Querfront der Querfronten“ und verspürt idiosynkratischen „Ekel“.
Dazu gibt es auch die sympathisierende Presse. Der Demokratische Widerstand hat einen langen Newsletter geschrieben, indem er hauptsächlich und korrekt darauf Wert legt, an dieser Aktion eines Flashmobs nicht beteiligt gewesen zu sein und andererseits allerlei eigene Motivation auf die Protestler projiziert. Außerdem hat diese Zeitung ein Interview mit einem der Aktivisten abgedruckt. Der Blog Witwesk von Corinna Laude hat eine kurze Rezension geschrieben: „Höret und sehet, was der kulturvergessenen Berliner Volksbühne an Kultur geboten wurde“.
Soweit das kurze Rauschen im Kulturüberbau.
30.12.2021