Text aus dem großen Thier N°10
Stagnation und Fäulnis der DIY-Intellektuellen
Die gesellschaftliche Ohnmacht erzeugt den Narzissmus und wer nichts gelernt hat, als das Denken, der hat einen intellektuellen Narzissmus. Man ist stolz auf seine Gedanken und mancher rühmt sich gar eines besonders individuellen gedanklichen Zugangs zur Welt. Das kann alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir keinen wirklichen Zugang zur Welt haben, sondern eben nur einen gedanklichen, sei dieser nur individuell oder sogar objektiv. Intellektuelle verdrängen das. Es bedeutet Schmerz zumal unser gegenwärtiger Gott keine Verwendung für solche Intellektuelle hat. Die denkenden Autisten müssen sich also einreden, sie hätten von der Welt wenigstens etwas verstanden. Haben sie aber in der Regel nicht und können es auch nicht.
Um darüber hinwegzutäuschen streiten sie sich auf schlechtem Niveau, wobei man besser daran tut, sich NICHT zu zitieren, da dann der Schwindel auffliegt, das man mitnichten versteht, was die anderen sagen und die nicht verstehen, was man selbst sagen will. Besser spielt man irgendeinen aus dem Ärmel geschütteltes, moralingesättigtes Ass oder behauptet der andere wäre dumm wie Schapper.
Eine andere Möglichkeit ist, man täuscht sich wechselseitig, indem man – vielleicht sogar wegen einiger überschneidender inhaltlicher Schrullen – behauptet, man wäre eine Fraktion. Das kann sehr libidinös aufgeladen sein, weil alle Liebe brauchen und es davon nicht genug gibt. Dann kann man sich gegen den Rest der Welt im irgendwie kritischem Recht fühlen und da man mit niemanden ernsthaft sich austauscht, erscheint man sich selbst sogar oft genug als letztes Refugium irgendwelcher Gedanken. Jedes dritte Gespräch mit einem beliebigen jemanden aus einem anderen Fragment könnte einen eines besseren belehren, tut es aber nicht. Diese friedliche Koexistenz kann natürlich in den Streit auf schlechtem Niveau übergehen. Umgekehrt geht es nicht.
Die Dritte Option ist sich weder zu streiten noch eine Fraktion zu bilden, aber den eigenen Stillstand mit Erkenntnissen zu kaschieren, die schon Jahre alt sind und damals einigen jugendlichen Sinn hatten, die aber mit den Jahren nicht besser werden, so dass man besser daran täte nochmal von vorne anzufangen und die Dogmen für einen Augenblick wenigstens zu vergessen. Dieser Fall ist relativ häufig, aber natürlich fällt er nicht besonders auf, da diese Leute politisch unsichtbar sind.
Das Problem ist in der Hauptsache eigentlich folgendes: Ob jemand das richtige macht oder gar auf der richtigen Seite steht, wie man sich auszudrücken pflegt, hängt nicht an der Intelligenz. Man kann sein Hirn einer Sache widmen, einer guten wie einer schlechten. Es gibt außerdem noch zahlreiche andere Qualitäten, die man wiederum einer guten wie einer schlechten Sache widmen kann und die der Kopfmensch gerne vergißt.
Es gibt Abhilfe! Scham ist ein Anfang.
22.6.2015 – Aus dem großen Thier N°10 und Gift N°4