Notiz zum Film „Kropotkin – Die kommende Revolution“
Die Erstellung des Films „Die kommende Revolution“ verfolgt einige mittelbare und unmittelbare Zwecke. Ans Texteschreiben oder -veröffentlichen gewöhnt, sollte in der Hauptsache mit einer alternativen Form experimentiert werden, um Gedanken zu verbreiten: Der Verbindung von Ton und bewegten Bildern. Dies ist durch die in den letzten Jahrzehnten entwickelten technischen Möglichkeiten stark vereinfacht worden. In diesem Fall handelt es sich um eine Rekomposition und dadurch eine gewisse Verdichtung der wesentlichen Gedanken Kropotkins. Es wurde ein aus Artikeln und Büchern dieses Anarchisten kompilierter Text eingesprochen und mehr oder weniger gelungen mit Bildern der Kuturindustrie und youtube sowie einiger Musik und Geräuschen unterlegt. Das Gedankengut des komunistischen Anarchismus kann so in öffentlichen Vorführungen präsentiert oder per Link verbreitet werden. Im Prinzip dieselbe Verfahrensweise, die in jüngerer Zeit die Gruppe Slatan Dudow angewandt hat, um das relativ sperrige Gedankengut Hans-Jürgen Krahls zu tradieren. (Angaben zur Person)
Näher soll eine oft vergessene Strömung der ersten Arbeiterbewegung ins Gedächtnis gerufen werden: Infolge des Pariser Aufstandes 1871 und nach dem großen Schisma zwischen Marx und Bakunin sowie deren jeweiligen Anhängern gelang es dem Anarchismus, sich unabhängig von der marxistisch geprägten Sozialdemokratie zu organisieren und in einigen Ländern einen guten Einfluß auf die Arbeiter auszuüben. Die Legende will es, daß während der vier Monate Juli-Oktober 1876 die drei Anarchisten Malatesta, Cafiero und Emilio Covelli in Neapel in beständigem Kontakt waren und sich insbesondere ökonomischen Fragen widmeten. „Ob Covelli die Aufmerksamkeit auf die ökonomische Seite der Ideen lenkte oder nicht“, berichtet der anarchistische Historiker Nettlau, „jedenfalls erzählte mir Malatesta, daß diese drei damals bei ihren Spaziergängen am Meeresufer zur Idee des kommunistischen Anarchismus gelangten. Dies war ein Schritt vorwärts; denn bis dahin war das die ökonomische Richtung des Anarchismus qualifizierende Beiwort das Wort kollektivistisch. Dies bedeutete Kollektiveigentum und den vollen Arbeitsertrag für die Arbeiter. Aber – fragte man sich jetzt – wie kann der volle Arbeitsertrag bestimmt werden? dazu wäre die Festsetzung eines Maßstabes notwendig, dem sich alle unterwerfen müssen – dies bedeutet Autorität – und ferner, da die physischen Kräfte, Geschicklichkeit usw. verschieden sind, wären die Schwächeren und weniger Geschickten die Opfer eines solchen Systems – dies bedeutet Ungleichheit und eine neue Form von Ausbeutung, das Entstehen neuer ökonomischer Vorrechte. Daher soll auch das Arbeitsprodukt Kollektiveigentum sein und allen nach Maßgabe ihrer Bedürfnisse zur Verfügung stehen. Dies war das alte kommunistische Prinzip.“ (Max Nettlau: Errico Malatesta, Aus dem Leben eines Anarchisten, Kramer Verlag, S.64) Tatsächlich beginnt hier der Anarchismus mit allen Formen der alten Welt zu brechen und statt dessen einen kollektiven, bedürfnisgetriebenen Stoffwechselprozeß mit der Natur zu propagieren, ohne dafür die Freiheit des Einzelnen aufzuopfern. Diese neue Welt braucht kein Kapital, keinen Staat, kein Geld, keine Befehlsgewalt und keine Unterdrückung. Die Verfechter dieser Idee wurden durch verschiedene Länder gejagt, in Gefängisse geschmissen oder umgebracht. Peter Kropotkin systematisierte diese Idee des Anarchokommunismus, und seine Artikel und Bücher eigneten sich deshalb als Material für den Text dieses Filmes.
Ferner gibt es in Europa eine gewisse Renaissance des Aufruhrs. Zahlreiche Städte und Regionen erlebten größere Krawalle, es kam zu Blockaden von Bahnhöfen und Autobahnen, zu Besetzungen, wilden Streiks, Ausnahmezuständen, Polizeieinsätzen, Gefängnisstrafen. Diese mehr oder weniger spontanen Bewegungen sind eher anarchisch denn anarchistisch, aber es gibt auch eine gewisse Renaissance des Anarchismus. Hauptsächlich in Griechenland, aber scheinbar auch etwa in Großbritannien, wo einige Aktivisten die Zentrale einer der großen Parteien aufbrachen, um einer ansonsten harmlosen Demonstration einen Raum zum Feiern zu geben. Ob die jüngeren Unruhen ein geeigneter Nährboden für Phantasien einer Gesellschaft jenseits von Staat und Kapital, Geld und Profit, Unterdrückung und Ausbeutung sind, wäre vielleicht einige Experimente wert. Ob sich das bestehende anarchistische Milieu ausdehnen kann und ob es ihm gelingt, Ideen zu entwickeln und in die Gesellschaft zu tragen, auf daß sie dort auf ihre Weise neue Früchte tragen, ist zweifelhaft. (Erste Gruppen Griechenlands fordern bereits eine „Revolution in der Revolution“ und wollen eine „Kritik der anarchistischen Ideologie“, insbesondere eine Überwindung des „orthodoxen Lifestyles“ der „Szene“, welcher viele durchaus negative Elemente der Gesellschaft von vornherein abschreckt oder ausschließt.) Wie dem auch sei: Diese jüngeren Auschweifungen schlagen um Deutschland jedenfalls bislang einen Bogen und so wäre hier schon einiges gewonnen, wenn sich innerhalb der radikalen Strömung einige Ideen klären würden. Der Film soll dabei immerhin dazu dienen, vielen populären Vorurteilen gegen den Anarchismus zu entgegnen, die sich unter anderem in der offiziellen Abwehr zahlreicher Gruppen und Individuen gegen die Schrift „Der kommende Aufstand“ zeigte. Diese Schrift knüpft nämlich am Kommune-Gedanken des anarchistischen Kommunismus an und unternimmt es dabei, diese Elementarform der zukünftigen Gesellschaft bereits der Gegenwart zu empfehlen, hier gewissermaßen als aufzubauende Keimzellen der gegen den Kapitalismus gerichteten Antiwelt: Statt dem lähmenden Wechselspiel von Gruppismus, Bündnis und formeller Organisation ein lebendiger revolutionärer Organismus, der sich funktional gliedert und nicht sektiererisch.