8. Arbeit
Allem Gerede vom Fetischismus und der scheinbar-wirklichen Erhebung des ominösen Kapitalprozesses zum Subjekt der Geschichte zum Trotz, bleibt natürlich der Umstand, dass der Mensch, abgesehen von den Zwängen der Natur selbst, nicht von Dingen und Verhältnissen beherrscht werden kann, die er nicht zumindest als Gattung selbst erschafft. „Dieser Mensch ist z. B. nur König, weil sich andere Menschen als Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, weil er König ist.“ Mag die Sache notwendig so erscheinen, als ob die im kapitalistischen Geld ihr getrenntes Dasein fristende Arbeit den Menschen anwendet, als ob das Kapital gewordene Geld das Subjekt wäre und es dem in den modernen Computernetzwerken zirkulierendem Geld gelungen wäre, die Welt zu regieren, es ist doch der Mensch, der den Produktionsapparat erzeugt hat und ihn auch anwendet. Kapital, Eigentum, Gesetze: Diese Kategorien scheinen nur deshalb als herrschend, weil die Produktion der zur Reproduktion der Gattung gewünschten Dinge und Umstände noch nicht selbstbewusst und vernünftig gestaltet und ausgeführt wird. Und die Charaktermasken, die diesen Kategorien erst eigentlich Leben einhauchen, die viel gehassten Eigentümer, Vorarbeiter, Gesetzgeber, Minister, Richter, ja selbst die Polizei, bekommen ihre Weihe nur, weil die Masse ihnen ihre jeweilige Funktionen attestiert und sich denselben gemäß verhält. Um das alles los zu werden muss die Produktion angeeignet werden, die Arbeit sich bewusst betätigen. Das ist der springende Punkt, von dem übermäßige Agitation gegen die Herrschenden nur ablenkt, so gerecht jeder ehrliche Klassenhass auch ist: „Wenn man von Privateigentum spricht, so glaubt man es mit einer Sache außer dem Menschen zu tun zu haben. Wenn man von der Arbeit spricht, so hat man es unmittelbar mit dem Menschen selbst zu tun.“
So wenig sich von der Hand weisen lässt, dass man unsere Welt besser so beschreibt, als ob in ihr die tätige Substanz Kapital prozessiert und dem Menschen als spiritus rector dient, so sehr also die Fiktion Eigentum wirklich ist und daher die Eigentumsbestien wirklich die Arbeit kommandieren, es kommt doch darauf an, die Naturumformung so zu gestalten, dass sie dem individuellen wie gemeinsamen Glück aller bestens dient, die Widrigkeiten unseres Planeten – Dürren, Krankheiten, Stürme, Beben, Unfälle, natürliche Knappheit an bestimmten Rohstoffen, die Empfindlichkeit der Atmosphäre etc. – wenn nicht aufhebt, so doch mindert und bewältigt und dabei die schönen Seiten desselben Planeten zur Pracht erhebt. Man muss dafür natürlich die Eigentümer und sonstigen Verwalter der alten Welt beiseite schieben und sie ignorieren, man muss dafür mit deren bewaffneten Formationen umgehen, sie entwaffnen oder sogar besiegen. Aber das ist nur der Anfang! Wesentlich ist die darauf folgende Neuorganisation der Arbeit jenseits der verselbstständigten und lieb gewonnenen kapitalistischen Prinzipien. Nicht die Abschaffung des Eigentums beendigt die entfremdete Arbeit, sondern indem die Gattung aufhört, sich zu ihrer Arbeit und deren Erzeugnissen als ein fremdes Gut zu verhalten, wird schließlich das Privateigentum aufgehoben. Man kann das Eigentum so wenig abschaffen wie Gott, aber man kann die Verhältnisse ändern, die die Eigentumsidee hervorbringen.
Arbeit aber ist selbst ein lächerlicher Allgemeinbegriff. Man kann wie die moderne Physik darunter jede Form der Bewegung begreifen und sie analog für jedwede Tätigkeit erklären, die man dann, sollte dieser Kapitalismus endlich überwunden werden, bewusst plant und tätigt. Man wird dann schnell dazu kommen, nur die sogenannte produktive Arbeit zu werten und den Konsum zu vernachlässigen. Doch was ist genau produktive Arbeit? Gehört die momentan private Hausarbeit dazu? Oder aber man definiert als Arbeit gewertete Tätigkeiten durch die Unlust, die dieselben bereiten. Aber wann hört das Vergnügen auf, wann fängt die Arbeit an, etwa wenn es um die eigene Brut geht. Der Begriff der Arbeit ist jedenfalls hochgradig ambigue.
Man wird bei der gesellschaftlichen Planung und Umsetzung der Arbeit schnell dazu kommen, diesen Begriff in seiner fürchterlichen Allgemeinheit zu verwerfen. So schrieb Marx im Fragment Die deutsche Ideologie, dass „in allen bisherigen Revolutionen die Art dieser Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich bloß um eine andere Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der Arbeit an andere Personen handelte, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt.“ Die Sucht, alles als Arbeit zu begreifen, wird ein Ende haben; dieser Allgemeinbegriff ist ja selbst erst in der kapitalistischen Wirtschaft zu seinen Blüten gekommen. Die zahllosen unterschiedlichen Tätigkeiten wurden einander quantitativ gleichgesetzt, die Arbeit verdinglicht sich, wird zu Geld. Man tut so, als gäbe es neben Fuchs und Hase auch das große Thier selbst und dasselbe würde auch noch seine Raubzüge unternehmen. Dadurch ist diese schreckliche Subsumtion aller Tätigkeiten unter die Arbeit zur zweiten Natur geworden. Aber alle Versuche allgemein über die mögliche Planung der Arbeit zu reden führen sich ad absurdum, weil die höchst unterschiedlichen Arbeiten höchst unterschiedliche Planung verlangen und man bei der Stahlproduktion vielleicht sogar stark auf Produktivität achtet und Tonnen und Arbeitsproduktivität misst, während die Einrichtung der Städte und Wohnungen, die Zubereitung des Essens, die Herstellung schöner oder zweckmäßiger Gewänder völlig ohne strikte Planung auskommt, wenn nur Maschinen, Werkzeug und Rohstoff vorhanden sind und Menschen, die dieselben benutzen wollen.
Überhaupt ist die Aneignung der Produktion zunächst so zu denken, dass insbesondere die Arbeitszeit kein Maß ist, durch das der individuelle und kollektive Konsum gewährt oder beschränkt wird. Sollte ein Gut absolut oder vorübergehend knapp sein, werden sich andere Möglichkeiten der Einschränkung finden, sei es dass besonders unangenehme Tätigkeiten durch seltenen Konsum versüßt werden, sei es, dass die knappen Güter dafür um so kollektiver genutzt werden oder sei es durch eine mehr oder weniger technische Rationierung solcher Güter. Das heißt natürlich nicht, dass die Arbeitszeit oder die Abschätzung der Produktivität nicht neben anderen Kriterien eine Rolle spielen kann, wie es im weiteren Sinne bei der Planung gerade großer Unternehmungen zu berücksichtigen gilt, ob sich auch genug Leute finden, die das Werk umsetzen, die nötigen Mittel dafür produzieren, an den bestimmten Ort transportieren und dort seiner Bestimmung zuführen, etwa indem sie eine Joghurtfabrik bauen. Aber die individuelle Arbeit, die natürlich für die Gattung Existenzbedingung bleibt, wird dann aufhören die Existenzbedingung der Einzelnen zu sein. Das alte, von Paulus stammende Credo, der Leitsatz der bürgerlichen und dann auch der staatssozialistischen Welt: „Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen“, hört dann endlich auf.
Außerdem wird die Arbeit zunehmend aufhören eine bloße Last zu sein, sondern vielmehr beginnen, „erstes Lebensbedürfnis“ zu werden, Spiel. In diesem Prozess der Umgestaltung der Arbeit in allerlei sogar angenehme Tätigkeiten verliert sich dieser Begriff. Es geht nicht um freie Arbeit, die Befreiung der Arbeit soll vielmehr „die Arbeit aufheben“. Genauso verhält es sich mit der berühmten Arbeitsteilung. Statt auf einige Funktionen im Produktionsprozess beschränkt zu sein kann man, sofern nur „die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt“, „heute dies tun und morgen jenes“. Die mannigfaltigen ineinandergreifenden Tätigkeiten werden dabei durch die bewusste Planung aufhören einander fremd zu erscheinen. Nicht die Arbeit teilt sich den Menschen zu, wie es sich ein Ingenieur gerade ausdenkt, sondern die das gemeinsame Werk vollbringen, teilen sich dabei die Arbeit.
Solche Kritik der Arbeit bedeutet natürlich nicht, dass Marx je die Faulheit predigte, noch bedeutet solche Kritik der Arbeitsteilung, dass es nicht unterschiedliche Tätigkeiten gibt, von denen einige sogar Studium und Übung voraussetzen oder sogar ein bei nicht jedermann vorhandenes Geschick. Auch mag es Aspekte der Naturumformung geben, die weiter nichts als Mühsal bedeuten, wie stark diese auch minimiert werden. Wie alle Kommunisten propagierte Marx den Fleiß und gerade bei der unmittelbaren Umgestaltung der Produktion, im Falle einer wirklichen Revolution, wird es einiges zu tun geben. In seinem Kapital ist Marx sogar wieder zurückhaltender, was die Aufhebung der Arbeit angeht. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass er bei seinen sporadischen revolutionären Fantasien stärker vom Übergang in eine höhere Gesellschaftsformation sich bestimmen lässt, als von einer dann vielleicht zu erreichenden Utopie, in der die Zwänge der Natur sich durch die List der Vernunft in Wohlgefallen aufgelöst haben. Jedenfalls schreibt der erwachsene Marx, „das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.“ – Letzteres gilt aber nur, solange eben Not herrscht, man kann sich durchaus eine Naturaneignung vorstellen, in der diese Not aufgehoben ist und man keine einfache Unterscheidung in zum Leben notwendige Mittel und Mittel zur Befriedigung darüber hinausgehender Bedürfnissen treffen kann wie überhaupt die Begriffe notwendige Arbeit und Mehrarbeit der bürgerlichen Epoche angehören. Aber Marx ist hier pragmatisch und setzt die immer auch mühselige Arbeit voraus. Der Fortschritt nach der selbstbewussten Aneignung der Produktion würde dann eher darin bestehen, „dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen.“ Die Arbeit bleibt auf diese Weise „immer ein Reich der Notwendigkeit“ und erst „jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbst zweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Not wendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.“