Komposition
Kürzlich stellte ein Text von Temps critiques (1) Überlegungen über die generationsübergreifende Zusammensetzung der wachsenden Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich an. Diese begann dort nämlich, in Erscheinung zu treten, während sie bei der Bewegung der Gilets jaunes noch fehlte. Die Autoren beschreiben, was sie eine alliage nennen, eine Legierung der Umstände, die durch die vorübergehende Fusion verschiedener gesellschaftlicher Fragmente herbeigeführt wird. Diese Kategorie erinnert an das von Endnotes benannte ‚Problem der Zusammensetzung‘ in den jüngsten Bewegungen (2). Ganz unterschiedliche junge Leute haben dem Kampf einen neuen Anstoß gegeben, was zu einem kraftvollen Anwachsen des cortège de tête in den Dynamiken der Auseinandersetzung mit der Polizei führte. Die Gewerkschaften verloren dadurch die Kontrolle über die Plätze. Zur selben Zeit hat die Jugend die Rolle von Schul- und Universitätsbesetzungen neu definiert, indem sie die Besetzungen in Operationsbasen für Aktionen verwandelten, die sich dann über die Städte verbreiten konnten. Auf diese Weise änderte sich die Bedeutung der Besetzungen: Indem die Studenten dieser klassischen Praxis ihres Repertoires eine neue Form gaben, dienten sie anders als in vergangenen Bewegungen nicht mehr der Wiederaneignungen der Bildungseinrichtungen, sondern waren in der Lage, sich mit der Bewegung gegen die Rentenreform zu verbinden. In diesem Sinne müssen wir von einer alliage sprechen, die sich sowohl gegen die konzentrierte Macht von Macrons Staat als auch gegen die dezentralisierte Macht der Wirtschaft stellt.
Die konfliktgeladene Form der Mobilisierung im März in Frankreich, die direkte Aktionen und Blockaden bevorzugte, hängt sowohl mit dieser kompositorischen Anordnung der verschiedenen beteiligten Akteure zusammen als auch mit den Schritten Macrons. Der Rhythmus der Bewegung entwickelte sich als Antwort auf Macrons ‚Coup‘, der, indem er sämtliche übliche institutionelle Oppositionsformen wie Gewerkschaften und Parteien überging, einzig die direkte und unvermittelte Opposition übrig ließ. An diesem Punkt konnten die Jugend und alle ‚radikaleren‘ Fraktionen der Bewegung ihren Platz finden und die Mobilisierung aufrütteln, indem sie ein Repertoire von Praktiken ins Zentrum rückten, das sich aus Straßensperren, Streikposten, schwarzen Blöcken und wilden Demonstrationen zusammensetzte.
Ein Text, der am 11. April auf Lundi matin erschien (3), macht drei Momente der Mobilisierung aus: zunächst (als die Reformen von der Regierung noch debattiert wurden) eine vereinte Mobilisierung durch die Gewerkschaften, dann eine Kombination aus Streiks, Blockaden und Streikposten in den Schlüsselbereichen der Wirtschaft, und schließlich, infolge der erzwungenen Verabschiedung der Rentenreform, das starke Anwachsen und die Ausbreitung autonomer, nächtlicher Ausschreitungen sowie Blockaden der Verkehrswege. Den Autoren zufolge hatte die Mobilisierung nur in dieser dritten Phase die Möglichkeit, aus dem reaktiven, ihr von der Regierung vorgegebenen Muster auszubrechen und über die Untiefen der republikanischen Demokratie sowie die vermittelnden Organisierung der Gewerkschaften und Parteien hinweg zu springen, um ansatzweise mit Neugruppierungen zu experimentieren.
Angesichts der Unwirksamkeit der Gewerkschaftsstreiks in der Geschichte (selbst wenn diese zum ‚Generalstreik‘ wurden), nahm die Praxis der Blockade eine größere Bedeutung ein. Diese Blockaden – die Hauptverkehrsstraßen und strategische Orte wie Busbetriebshöfe, Raffinerien und Abfallsortierzentren umfaßten – hatten die Tendenz, den Konflikt zu dezentralisieren und die militärische Dynamik der direkten Konfrontation mit der Polizei zu durchbrechen. Das bewahrheitete sich insbesondere, wenn sie unerwartet in verschiedenen Teilen der Stadt aus dem Boden schossen und das Geschäftsleben lähmten. Diese Form eröffnete einer zu Beginn noch komplett vom Gewerkschaftsverband kontrollierten Bewegung einen anderen Rhythmus.
(1) Temps critiques: La protestation en cours sur les retraites. Du refus à la révolte?, in: Lundi matin #377, 4. April 2023
(2) Siehe Endnotes: Onward Barbarians
(3) Anonym: Sortir de l’antagonisme d’état, Lundi matin #378, 11. April 2023