III. Die Welt zur ZAD
Die Eruption der Gelbwesten Bewegung hat einmal mehr den Beweis für schlummernde Kräfte deutlich gemacht, die von den Spezialisten der Gesellschaft nicht einmal ansatzweise erahnt wurden. Es ist letztlich ein spontanes Ereignis – eingebettet in deskriptive Verhältnisse, aber in seiner Form nicht voraussehbar und überfordernd für Realisten. Ein ganz normaler Gang der Geschichte. Die Mystik solcher Aufbrüche sollte nicht fetischisiert werden, aber muss in alle Überlegungen mit einbezogen werden. Gerade daran scheint es innerhalb linksradikaler Zirkel in Deutschland zu mangeln. Man könnte bei all dem betriebenen Denksport meinen, man habe die Wunschvorstellung des deutschen Wesens verinnerlicht. Nur nicht ausarten, Denken sei dir gestattet. Alles darf man sagen, nichts darf sich verändern. Das Geschwätz von Meinungsfreiheit dient dem Austausch hohler Phrasen, wo Konflikt sein müsste. Die radikale Linke in Deutschland spielt dabei mit, wenn auch mit Rückendeckung eloquenter Theorie. Man suhlt sich in der Exegese kritischer Theorie, beständig im Wetteifer um die meisten Zitate und dem höchsten Grad an Abstraktion. Die Denkschulen unterscheiden sich und natürlich wird gestritten, diffamiert und gespalten. Was eint, ist kritische Theorie als Anleitung für folgenlose Rechtfertigung eigener Genügsamkeit zu verwenden. Die paar letzten relevanten Gruppen werden ihrer Aktionsformen wegen belächelt, wo man selbst keine besseren Ideen hat. Aber gerade darum sollte es laut einiger Experten auch nicht gehen. Ist doch Kritik auch Praxis und hat für sich zu stehen. Nur tut sie den Verhältnissen eben nicht weh und jede noch so kleine Geste verspricht mehr Flächenbrand als der Plausch im Lesezirkel.
Die Gelbwesten geben Vertrauen in altbewährte Prinzipien. Die Ablehnung der Repräsentation vollzieht unbewusst die Politik der ersten Person. Man verzichtet auf etablierte Organisationen und weiß um das Werbeformat, wenn man sich darauf einlassen würde. Eigene Wege werden eingeschlagen und der Konflikt mit der Staatsgewalt nicht gescheut. Die vorgegebenen Routen und der friedliche Ablauf sorgen nun einmal für keinen Druck. Ein kurzes Event dient der Bestätigung gemeinsamer Interessen. Der Regierung schaden tut es nicht. Wiederholende Exzesse halten die Wut aufrecht, sorgen für öffentliches Interesse und trotzen letztlich dem Leben ein Mehr an Würde ab. Überdies verdichten sich Beziehungen oder gehen auseinander – im Konflikt lernt man Sichtweisen kennen, die theoretisch nie erfasst werden können. Dabei gilt es die Probe aufs Exempel zu machen. Wie greifen meine theoretischen Überlegungen in der Wirklichkeit? Was ist Geschwätz, was ist Wissen? Darum geht es. Die eigentümliche Weise eines jeden zu berücksichtigen um es Stachelschweinen gleich zu tun: zu viel gemeinschaftliche Nähe schmerzt dem Einzigen, wenngleich dieser ohne Kollektiv sozialer Kälte ausgesetzt ist. Prinzipien wirken idealistisch, wo materialistisches Denken angebracht scheint. Doch verirren sich zu viele Kopfgeburten im Labyrinth weiser Worte.
Nun verlieren sich nicht ebenso wenige freiheitliche Gedanken im Reich des Riots. Die Aufhebung von Autorität wird im ewigen sozialen Krieg vermutet, ohne Umrisse eines besseren Lebens. Wo sich manche im Lesezirkel die Legitimation für Passivität abholen, ignorieren andere eine Perspektive aufzuzeigen und suchen beständig das nächste Abenteuer. Diese Abenteuerlust wird sodann als einzig wahres Leben bezeichnet und vergisst so vieles – vom Glück der eigenen Lage, des biologischen Alters und schlussendlich von der eigenen Sackgasse. Auch hier regiert das Bilderverbot, nur ergötzt man sich eben am Bild des Kriegers im Jetzt. Jegliche Reform wird belächelt und sei sie noch so radikal herbeigeführt worden. Statt sich zusätzlich mit Produktionsweise auseinanderzusetzen wird sich, nah am Kitsch, nur noch der eigenen Gefühlslage hingegeben. Derweil sollte man sich bestimmter Forderungen nicht schämen. Den Vorwurf der Sozialdemokratie kassiere ich gerne, wenn mir die Mittel radikal und ein Horizont der Möglichkeiten erscheinen. Forderungen können zur schnellen Besänftigung sozialer Umbrüche führen, aber diese ebenso schnell entfachen. Ein vor sich hin Wabern bestimmter Phrasen motiviert keine Massen. Und die braucht es in einem gewissen Maß, ob man sich das eingestehen mag oder nicht. Gegenwärtig kann dieser Umstand an den Gelbwesten studiert werden.
In der Kommune steckt immer noch die umfassendste Sprengkraft neuer sozialer Beziehungen. Wo sie auch immer historisch auftauchte, enthielt sie einen Ausblick auf das Bessere. Das Wissen darum ist allgemein schlecht verankert. Kritik wird maximal im Sinne von Naivität geäußert. Die Katastrophen realsozialistischer oder kommunistischer Regierungen fehlen. Austausch und Entscheidungsfindung werden unmittelbar spürbar und bleiben doch dem Einzigen überlassen. Die vorhandene Möglichkeit ist, was zählt. Schnell waren Wirtschaftsexperten dabei die Gelbwesten als dumme Leute ohne Verstand für die Wirtschaftsweise darzustellen. Doch was bringen mir schwarze Nullen, wenn es mein Leben nicht berührt? Zumal die wirklichen wirtschaftlichen Katastrophen vormals selten als solche erkannt wurden und das Schreckgespenst nur bei Missgunst des Empires auftaucht. Die Kommune sorgt für Überschaubarkeit und denkt förderativ. In alten Bewegungen tauchte die Parole des „Think global, act local“ auf und meint eben diesen Umstand. Kein borniertes Gefasel von Mythen umrankter Souveränität einzelner Staaten, sondern Wissen um die globale Verzahnung des Lebens und Handeln vor der eigenen Haustür. Es wird be- und greifbar – und somit veränderbar. Reden wir nicht vom Menschen neuen Typs, vielmehr von der einzig gültigen Aussage über die Gattung Mensch: die Gewohnheit erfährt Umformung. Das benötigt Zeit, aber weiß die bisherige Menschheitsgeschichte mit all seinen Wendungen auf seiner Seite.
Man sollte sich also nicht schämen, wenn man sich nicht komplett dem Projekt Abenteuer hingibt und zuletzt immer in der isolierten, abgemagerten Illegalität ankommt. Ich denke, allein Militanz wird ein Teil von Menschen immerzu aktiv ablehnen – den bewaffneten Kampf umso mehr. Dabei geht es auch nicht um die Ablehnung an sich, sondern um die geduldete Akzeptanz. Das Konzept Massenmilitanz verspricht da mehr Hoffnung und feiert nach wie vor seine größten Erfolge. Gegenwärtig sind wir Zeuge bei Betrachtung der Gelbwesten-Proteste. Darum muss es immer gehen. Allen Szenedünkel und aller Repression zum Trotz gilt es sichtbar die Themen unter der Ägide egalitärer Prinzipien zu setzen. Sich also an die Spitze einer Bewegung stellen, wie es beim Cortège de Tête so beeindruckend gelingt. Immer mit dem Wissen, dass die Entschlossenheit wichtiger ist als eine maximale Anzahl an Personen. In dieser so passiven Gesellschaft reicht bereits ein kleiner, wilder und permanenter Haufen um Diskurse zu bestimmen. Was aber viel wichtiger ist: handlungsfähig zu werden, Gegenmacht zu ergreifen und materiellen Nachdruck zu hinterlassen.
Wenn in einem kleinem Landstrich von Frankreich zur Verhinderung eines Flughafens der vorgesehene Platz zur Zone à défendre erkoren wird und ein Schmelztiegel unterschiedlicher Mittel zum Vorschein kommt, dann gibt das einen Ausblick auf zukünftige Kämpfe. Zumindest in seiner Anfangszeit. Milieu übergreifendes Handeln ohne Spaltung in der Frage der Militanz. Permanent vorhanden, permanent mobilisierbar. Erst der Abbruch des Projekts durch den Staat und somit des gemeinsamen Nenners, ließ die Bewegung sich spalten. Nicht hinsichtlich der Frage von Gewalt, sondern um staatliche Anerkennung eigener Projekte. Die Nicht-Verhandelbaren wurden mal wieder den Bullen zum Fraß vorgeworfen. In seinem Ende tragisch, doch trotzdem imponierend. Weitaus weniger konfrontativ gab es in Deutschland zuletzt einige gelungene Interventionen. Erinnert sei an die Verteidigung des Hambacher Forst oder die Verhinderung eines Google Campus in Berlin-Kreuzberg. Beides vielseitig in den Mitteln und auch permanent. Hingegen mangelt es nicht an Massendemonstrationen, wie die Proteste gegen neue Polizeigesetze oder für eine offene Gesellschaft. Aber sie verpufften als kurzes Happening. Eine Randbemerkung ohne Nachdruck, obwohl es an Leuten nicht gefehlt hat. Man muss sich dem Palaver um Gewalt entziehen, wenn es sich doch in seiner Mehrheit um Sachbeschädigung in einer Hemisphäre des Überflusses handelt.
Und so bleibt letztlich der Gedanke von Hoffnung ständiger Begleiter in trüben Zeiten. Was im Augenblick zäh und festgefahren scheint, kann innerhalb kurzer Zeit Lichtblick für bessere Zeiten sein. Italien, Deutschland, Griechenland, Frankreich… das antagonistische Lager wechselt beständig seinen Ort und imponiert doch gleichwohl woanders. Spuren werden hinterlassen, Splitter bleiben und Botschaften vermittelt. In der steten Hoffnung, aus der Flaschenpost möge ein Molli entstehen.