Der Geistergeburtstag
Vorm Bühneneingang her und hin
Bin ich einmal gegangen,
Man soll von einer Künstlerin
Nicht Pünktlichkeit verlangen.
Ich schlenderte und roch mit Lust
Den mitternächtlichen August
Und kam im Unversehen
Vor einem Haus zu stehen.
Ein schönes Haus, so klassisch treu,
So einfältig erlesen,
Es ist gewiß wohl einmal neu
Und dennoch schön gewesen.
Die Tür war auf. Der Hausflur klang
Durchtönt von Männerchorgesang,
Ein Herr hat mich gebeten,
Gefälligst einzutreten.
– Wer ist, der hier noch singt so spat,
Der Kreis fidel und kregel?
– Wir feiern den Geburtstag grad
Von dem Professor Hegel.
Ich bin der Dichter Raupach. Ich
Vernehm ja, daß Sie über mich
Sehr nett geschrieben haben.
Salut am Kupfergraben.
Doch still, der Alte! (Ich berichts,
Weil es nicht ohne Reiz war):
Er selbst, sprach Hegel, geh ins Nichts,
Die Jugend folg. Es sei zwar
Die heutige Jugend blöd wie nie,
Doch sei, daß ausgerechnet die
Des Fortschritts Werk verrichte,
Der Witz der Weltgeschichte.
Da schlug es zwölf. Und stracks erhob
Die Runde sich, die frohe.
Jetzt fordert, rief man, unser Lob
Der andere Zeitheroe.
Am Rand jetzt zwischen Tag und Tag
Begehen wir auf einen Schlag
Die göttergleich Erhöhten,
Hegeln zugleich mit Goethen.
Ich auch trank auf den Anlaß viel,
Ein volles Glas Burgunder,
Und sprach zu Raupach: Mein Virgil,
Sprach ich, es nimmt mich wunder,
Daß Sie nach all den Jahren hier
Bei Scherz und Lied, bei Punsch und Bier
Als Gaukelwerk sich regen. –
Er sprach: Unter Kollegen,
Uns wieder wundert, daß Sie, ein
Lebendger, uns beehren,
Wir glaubten, daß nur wir allein
Der Nachricht teilhaft wären,
Wer, seit man teutsche Männer findt,
Von denen die zwei größten sind,
Wer erst kommt und wer dann kommt,
Kurzum, auf wen es ankommt.
Der FW III zum Beispiel hat
In ziemlich rüden Noten
Der Presse die Berichterstat
tung über uns verboten.
Auch in der Macht wohnt ja Idee,
Wir übersehn nicht, daß die Spree
Die hier so still vorbeifließt,
In Richtung Stadtvogtei fließt.
Daher, solang nicht breit genug
Geteilt wird unser Denken,
Muß sich auf balladesken Spuk
Die Weltvernunft beschränken.
Und bis er sich als frisch erweist
Im Volksgemüt, behält der Geist
Etwas Gespensterhaftes.
Ich hoff, die Menschheit schafft es. –
Drauf ich: Ich seh die Sache doch
Nicht so durchaus verpfuscht noch,
Die Zeitung zwar schweigt immer noch,
Und meine Liebste duscht noch,
Doch gerade von dem Goethe wie
Sogar vom Hegel heget sie
Als geistige Erscheinung
Die allerhöchste Meinung.
So zählten wir schon zwei bereits;
Will mich auch gern verbinden,
Der großen Wahrheit meinerseits
Noch Anhänger zu finden.
Doch es wird eins und für sie Zeit,
Ich danke für die Gastlichkeit. –
Der Raupach sagte bieder:
Erwähnen sie mich wieder.
Erläuterungen des Verfassers:
Hegel wohnte am Kupfergraben 4 a. Hegels Geburtstag war der 27. August, Goethes der 28. August. Die „Zusammenfeier“ beider Ehrentage wurde von Hegel und seinen Freunden am 27. August 1826 veranstaltet – übrigens, wie hier zum entschiedenen Nachteil der Wirklichkeit festgestellt werden muß, nicht in Hegels Wohnung, sondern in den Beyermannschen Festsälen Unter den Linden. Hegels Rede ist treu wiedergegeben.
FW III ist Friedrich Wilhelm der Dritte.
Das Berichterstattungsverbot an die Oberzensurbehörde erging in Wahrheit erst nach dem Ereignis, aufgrund des Berichts der Vossischen Zeitung über dasselbe.
Stadtvogtei: das Gefängnis. „Salut“, gesprochen „Salüh“.