Video & Bericht: ‚Mit den Blockupanten zum Arbeitsministerium‘
‚Bullenjogging in Berlin‘
Blockupy: Die Blockade des Arbeitsministeriums ist angekündigt. Einige Tage vorher sagt mir ein Arbeiteranarchist in einem Café, das bekommt er kaum noch mit. Interventionistische Linke, Attack, die Linke und so. Mobilisert diesmal wohl keine Destroika und keine ausländischen trouble maker machen sich auf den Weg in die informelle europäische Hauptstadt. Fragt mich danach ein Salonkommunist, ob ich mitkomme. Hab nichts vor, die Uhrzeit schreckt ab. „Praxislos ist die Lektüre des ‚Kapital‘ nichts als bürgerliches Studium“, denke ich und die Lohnarbeit ist mir schon länger ein Dorn. Also auf zum Ministerium für Lohnsklaverei.
I.
Wecker auf 6:00. Beepbeepbeep. Die Snoozeoption diesmal tapfer ignoriert: Verabredung am U-Bahnhof, zusammen zum Gendarmenmarkt, noch mehr Bekannte treffen. Das Setting sieht zwei Treffpunkte vor. Am Potsdamer Platz der Klassenkampfblock und auf dem Gendarmenmarkt der Antinationale Block. Die Strategie: In die Offensive kommen und den Kapitalismus in einen Zangengriff nehmen. Antikapitalistisch, aber zur Abgrenzung vom populären Antikapitalismus einer Wagenknecht auch antinational. Nieder mit dem Grenzregime! Daher diesmal auch das Arbeitsministerium und nicht das Finanzministerium. Kritik der schaffenden Arbeit und nicht allein des raffenden Kapitals! Meister der Symbolpolitik. Jedenfalls zwei Sammelpunkte, beide auf dem Boden des Gesetzes. Auf dem Gendarmenmarkt hat Attac die Sache angemeldet. Reichtum umverteilen. Oasen schließen. Eine Gruppe Aktivsten, von der Polizei umstellt, wird kontrolliert. Wir ignorieren das, Phase 1 soll schließlich ohne Konfrontationen ablaufen. Zur Attacbühne wollen wir auch nicht, außer zum Kaffee holen. Zu peinliche Lautsprecherdurchsagen. Die Sonne geht auf.
II.
Die eigentliche Aktion beginnt mit Phase 2. Bullenjogging. Die Taktik ist, die Polizisten zu umfließen. Warum nicht. Einfach rechts und links an den Raumwächtern vorbei und ab zum Arbeitsministerium. Das ist angekündigt, aber nicht angemeldet. „Genehmigte Demonstrationen müssen in die Illegalität überführt werden. Die Konfrontation mit der Staatsgewalt ist zu suchen und unbedingt erforderlich.“ Der Dutschke würde sich freuen. Nichts gegen die Taktik: wir friedlich, die Aufstandspolizei im 1. Gang; das klingt fair. Anpfiff. Statt zu umfließen, wird erstmal gedrückt. Vor dem sich formierenden Marsch weicht eine Reihe Polizei beständig zurück. Bis zur nächsten Staße. Pfeffer im Mund; ein unsichtbares Kommando: alle nach Links, durchaus diszipliniert. Bei jedem Richtungswechsel lockert sich die Sache auf und das eigentliche Bullenjogging beginnt. Die Polizei hält sich an ihre Regeln und innerhalb derselben gerät sie einige Augenblicke sogar ins Schwimmen. Sie kompensiert das aber, indem sie einen Augenblick brutaler agiert. Wer hinfällt wird aus dem Spiel genommen; insgesamt scheinbar 50 Stück Demonstranten, ab in die Gefangenensammelstelle. Asoziale Taktik: man ist angehalten, die Leute im Stich zu lassen, weil man das nächste Level der Eskalation sicher verlieren würde. Jemand versucht trotzdem eine Gefangene wieder aus den Händen der Beamten zu reißen, schafft das auch. Ladung Pfeffer im Gesicht, der Rest guckt nur versteinert zu und die Befreite ist wieder in Gewahrsam. Außerdem würde man die Initiative verlieren, wenn man sich auf derlei Scharmützel einließe und eine Weile hatten wir Initiative und joggen durch und um die lockeren und improvisierten Linien der Polizei, alle auf Trab. Die Sache überschreitet den Höhepunkt, die Polizei schließt die Straße. Man könnte wieder drücken, müßte dafür aber energisch sein. Statt dessen der obligatorische Kessel. Wir sind vor dem Finanzministerium, aus den Fenstern glotzen Angestelte. Auch gut. Häßlicher Nazibau und wir von einer Rasselbande von Schlägern umstellt. Die Medien werden es teilweise Blockade nennen, diesen Kessel. Das behauptet teils auch die Presseabteilung unserer eigenen Leute. Vielleicht beginnt diejenige Partei zu gewinnen, die als erstes endlich aufhört dümmliche Propaganda zu machen.
III.
Phase 3 beginnt. Alle wie die Schafe, einer schaltet nicht zurück, hat ein Tuch vor der Nase. Das kam schon in der letzten Phase selten vor und war gefährlich für den Protestanten. Jetzt war das jedenfalls sicher nicht mehr erlaubt. Die Polizei führt ihn ab. Keine Reaktion. Deligiertenplenum. Megaphon: Die Polizei sei frech und agiere nicht auf dem Boden des Gesetzes. Es würden aber Strafverfahren angestrebt und so in zwei Jahren, je nach Laune des zuständigen Richters, auch durchaus Konsequenzen folgen. Jetzt aber wäre ein Parlamentarier unterwegs, um die Sache zu klären. Auch ein junger Bezugsgruppenanführer will wissen, das die Polizei wider das Recht operiert und eine parlamentarische Kontrolle derselben praktischer für die Opposition wäre, wenn es auch gerade anders aussähe. Vielleicht wird er mal Trotzkist. Oder ist es schon. Derweil bekommen wir Wasser und Kekse gereicht und dann deus ex machina: Katja Kipping oder jemand Artverwandtes meldet eine Demo an; ein Oberbulle sagt, alles wäre nun in Ordnung. Wanderkessel zum inzwischen gleichfalls angemeldeten Kundgebungsort vor dem Arbeitsministerium. Hamburger Gitter. Einige Symbolpflasterstein aus Luft. Dafür sehr groß. Aktion endgültig vorbei.
Fazit
Insgesamt ein faires Spiel. Die Ingewahrsamgenommenen sind schnell wieder draußen. Viele junge Leute, wird hoffentlich nicht viel nachkommen. Beide Seiten konnten die unterste Stufe der Revolte üben. Friedlicher Lauf von A nach B, ohne Polizeigenehmigung, aber vom legalen Ausgangsort ausgehend und der prinzipiellen Möglichkeit, durch die Parlamentsfraktion spontan eine Demo anmelden zu lassen. Unter Erdogan gäbs des net. Die Polizei verzichtet auf allzu grobe Gewalt, zeigt nur hier und dort, dass sie jederzeit ein bis zwei Gänge zulegen kann. Die Demonstranten können das wiederum nicht, da Kameras und Greiftrupps beständig die Grenzen aufzeigen. Etwa wurde noch der angemeldete und genehmigte Wanderkessel vom Finanzministerium zum Arbeitsministerium angegriffen und dadurch der schon geschlagene Zug ein weiteres Mal gedemütigt. Aber am Ende waren alle halbwegs zufrieden.