Rosa Luxemburg gegen ihre LiebhaberInnen verteidigt!
Auf der Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Demo 2001 und 2002 verteiltes Flugblatt
Finden sich zahlreiche Leute zusammen, um der alten Arbeiterbewegung und ihren AnführerInnen zu gedenken und außerdem noch Kund zu tun, daß eine kommunistische Revolution auch heute noch das einzig Vernünftige wäre, dann scheint die Stunde der KritikerInnen gekommen zu sein. Nahe läge es, den Gegenstand der Demonstration gründlich zu demontieren und nachzuweisen, daß bei allem Gerede von Kommunismus, die Arbeiterbewegung, zumal die Deutsche, auch bei ihren radikalsten VertreterInnen wie Liebknecht, Luxemburg und Lenin es waren, durch und durch affirmativ blieb. Statt Abschaffung der Arbeit sang sie ihr Loblied, statt Befreiung vom Staat wollte sie ihn verewigen. Besser also, mit der Arbeiterbewegung brechen und statt dessen auf die sehr viel radikalere Kritik von Marx, Lukács, Horkheimer Adorno und anderen zurückgreifen; Man braucht ja nicht alle Fehler noch ein mal zu Wiederholen. Jede neue revolutionäre Bewegung hätte gerade den klassischen Marxismus einer gründliche Kritik zu unterziehen, nicht, um Marx zu verwerfen, im Gegenteil. Die Hoffnung des Kritikers würde also darin bestehen, daß man, indem man den geäußerten Anspruch auf Revolution ernst nimmt und zeigt, daß die Arbeiterbewegung ihm nicht genügte, wenigstens einen Teil dazu beiträgt, die DemonstrantInnen zu radikalisieren.
Eine solche gutgemeinte Kritik muß aber fehlgehen! Entgegen dem naheliegenden Schein hat der heutige Gespensteraufmarsch mit den geehrten KommunistInnen etwa so wenig gemein, wie der Che-Kult mit der kubanischen Revolution. Diejenigen Einzelkämpfer, die immer noch in der Tradition des guten alten Arbeiterkampfes stehen, die seltsamen Käuze also, die sich Trotzkisten, Leninisten oder sonst wie nennen, sind bei den anderen Linken durchaus beliebtes Objekt für Gespött. Doch nicht weil man es besser wüßte, wird sich lustig gemacht, sondern aus schnödem Antikommunismus. Der postmoderne Mainstream oder das Widerspruchspuzzle der Trippelopression-Theorie radikalisierte nicht die Kritik, sondern demontierte sie endgültig. Wenn etwa Ivo Bobic in der Jungle World Jahr für Jahr dasselbe Lied von den ewigen Betonköpfen herunter leiert und gegen die autoritären KommunistInnen wettert, dann meint die Kritik nicht den beinah ausgestorbenen Marxismus-Leninismus, sondern jede verbindliche Position. Im Meinungsmarkt der Diskurse geht die Wahrheit unter, die der ML doch immerhin äußerte: Alle Verhältnisse sind umzuschmeißen, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist. Von Revolution ist bei den ach so undogmatischen Linken á la Jungle World, Fels, Alaska, und wer sich sonst noch so dazu zählt, nicht mehr viel zu hören.
Natürlich ist der schwülstige Pathos, mit dem damals wie heute die Proleten zum Kampf gegen Ausbeutung aufgerufen wurden, ideologisch. Doch nicht weil es falsch ist emphatisch gegen den Kapitalismus zu agitieren, um „die geschundene Menschheit ins Licht der Befreiung zu führen“ (Rosa Luxemburg, irgendwo) wirkt er befremdend und lächerlich, sondern weil es als völlig Wahnsinnig erscheint, irgendwelche revolutionären Massen zu agitieren, die heute schlicht und einfach nirgends zu entdecken sind. Der kommunistische Massenkampf war damals schon Ideologie, Karl Kraus behielt leider recht, als er angesichts der freiwillig begangenen Massenschlächterei im ersten Weltkrieg nicht die Weltrevolution, sondern das Ende der Menschheit konstatierte. Nachdem die Deutschen jedoch die Metzeleien des ersten Weltkriegs mit den Leichenberg von Auschwitz noch übertroffen haben, ist es nur noch Unsinn, sie zum revolutionärem Subjekt zu erheben, was deshalb ja auch von niemanden mehr ernst genommen wird, nur eben aus den falschen Gründen: Das die Massen den Kommunismus nicht wollen, ist diesen und nicht dem einsamen Agitator vorzuwerfen.
Die meisten Liebhaber von Rosa und Karl, die sich hier heute versammeln, zelebrieren die beiden als Pop-Ikonen, und nicht als KommunistInnen. Ginge es um Revolution, wie es die Transparente oder Aufrufe manchmal verheißen, dann würde zuerst auf ritualisierte Gedenkdemos verzichtet, die nicht radikal wirken, sondern wie langweilige Pflichtübungen. Ohne erkennbaren aktuellen Anlaß, an dem sich eventuell Wut entzünden könnte, trotten auch sich revolutionär nennende Demonstrationen, ihren vorherbestimmten Weg. Spaßig wird’s allerhöchstens mal, wenn die Polizei angreift, und nur so sind die sinnentleerten Sprüche zu verstehen, die sich gegen das beliebte Feindbild richten: Provokationen in der Hoffnung, die verhaßte Staatsmacht macht endlich, was von ihr erwartet wird und langt kräftig zu. Keine qualitativen Ereignisse führen zu einer gesteigerten Aktivität der wenigen Linken in Deutschland. Statt etwa, wenn Deutschland Krieg führt, den Ausnahmezustand auszurufen, ging er unter im tendenziell unterschiedslosen Einerlei, des auf Stetigkeit, Berechenbarkeit und Wiederholung basierenden bürgerlichen Alltages, dem auch die Demorituale, gerade der Autonomen, nachempfunden sind. Jährlich eine Silvio-Maier Demonstration, ein LL-Gedenkzug, am ersten Mai wird dann Barrikade gespielt, und dazu gibt’s noch einige Antifademos, deren Anlaß, mal NPD-Zentrale, mal 9. November, mal Naziladen oder Nazikneipe heißen kann. Diese reißen niemanden mehr vom Hocker, weil es schließlich keine Rolle spielt, ob irgendwo ein Café Germania existiert, die Welt geht ihren negativen Lauf ganz unabhängig davon. Die pedantisch in regelmäßigen Abständen stattfindenden Wochenendrevolutionen, sind so ihrer Kritik beraubt und werden entweder zur lieben Gewohnheit oder sie hängen den Beteiligten zum Hals raus. Das dürfte der Grund sein, warum die völlig ununterscheidbaren Demos immer mehr zu einem Popevent werden. Daß die Flugblätter immer bunter und die RednerInnen immer mehr zu Showstars werden, ist nur die logische Konsequenz einer Linken, die sich vollständig im Takt der Musik befindet, die sie in ihrer Freizeit über sich ergehen läßt und die die eigene Marginalität verdoppelt, indem sie nicht einmal versucht, die versteinerten Verhältnisse zum tanzen zu bringen, ihnen nicht ihre eigene Melodie vorsingt, sondern vielmehr vor ihnen resigniert. Wird auf Kritik verzichtet, so muß jene geschäftige Pseudoaktivität herauskommen, von der alle insgeheim wissen, daß sie letztlich unnötig ist. Kopflose Praxis ist keine, sie ist nur Beschäftigungstherapie. In Zeiten, in denen eine revolutionäre Praxis mangels einer ausreichenden Zahl Revolutionäre leider unmöglich ist, muß Linken, die dies wider besseres Wissen nicht wahr haben wollen, Revolution zur bloßen Phrase verkommen, die dann irgendwann fallen gelassen wird. Dagegen ist Rosa Luxemburg energisch zu verteidigen. Revolution war ihr kein Werbeslogan, sondern Impetus allen Handelns. Den Haß und die Wut auf unmenschliche Verhältnisse ist ihren Polemiken, im Gegensatz zu den bunten und interesselosen Flugis heute, immer anzumerken. Gerne würde man deswegen die DemonstrantInnen, die sich zu unrecht auf Luxemburg und Liebknecht beziehen, auffordern, als letzten Respekt vor den ermordeten KommunistInnen, den Totenzug einfach sein zu lassen, wenn nicht jetzt schon klar wäre, daß spätestens wenn es keine LLL-Demo mehr gibt, man sie schmerzlich vermissen wird: Es gibt keinen Anlaß eine bessere Praxis zu erwarten.