Die neue Weltunordnung
Als Flugblatt verbreitete Stellungnahme nach den Anschlägen am 11.9.2001
Das Ende der Nachkriegszeit…
Die weltweite Intifada erreichte am 11.September die USA. Nach einem besonders grausamen und kalt geplanten Attentat stürzte das World Trade Center ein und begrub Tausende unter sich. Es verfolgte kein politisches Ziel, sondern bezweckte die Ermordung möglichst vieler Unschuldiger und unterscheidet sich dadurch vom Pogrom oder Bandenkrieg. Der faschistische Kampf wird bis zum eigenen Tod geführt, die Opferkreise müssen notwendig ständig erweitert werden, weil es kein Kriegsziel gibt als zu vernichten.
Die Amerikaner wußten nicht anders zu trauern, als sich Fahnen zum Schwenken zu kaufen. Die Solidarität, hörte man in den Medien, wurde fortan wieder groß geschrieben, der Präsident log die Katastrophe in eine Prüfung um, die es zu bestehen gälte. Von einer geschichtlichen Zäsur ist seither die Rede, als ob der Terror, der nun auch die Weltmacht getroffen hat, in Israel, Rußland und sonst fast überall in der Welt nicht schon längst Teil der traurigen Realität wäre. Noch keine 15 Jahre ist es her, daß der von den Deutschen liebevoll Gorbi genannte Generalsekretär der KPdSU den Untergang der Sowjetunion einleitete. Er prangerte als erster die kommunistischen „Vorurteile gegenüber der Rolle der Ware-Geld-Beziehungen und der Wirkung des Wertgesetzes“ an und schimpfte auf verwahrloste Jugendliche, denen dann auch prompt der Alkohol weggenommen wurde. Unter seiner Führung brach die Ökonomie zusammen, wurde die einstige Großmacht an den internationalen Währungsfond ausgeliefert. Für eine Handvoll Deutschmark verhökerte Gorbatschow außerdem die DDR an den imperialistischen Feind und Afghanistan wurde an die von der CIA gepeppelte Taliban ausgeliefert. Historisch einmalig dürfte der Vorgang sein, daß ein riesiger Machtblock völlig sang und klanglos in sich zusammen sackte, ohne daß etwa die Armee ernsthaft versucht hätte den Zerfall aufzuhalten. Der Westen feierte den Zusammenbruch als Sieg der Demokratie. Die Wiedereinführung der Freiheit brachte den Bewohnern der Sowjetunion Seuchen und Hunger, die Lebenserwartung ging um 10 Jahre zurück. Passend taufte man Leningrad wieder in St.Petersburg um. Die Opfer der stalinschen Industrialisierung wurden ein weiteres mal verhöhnt, weil alles unter ihm erlittene Leid, nach dem Kollaps der Industrie nun wirklich keine Rechtfertigung mehr finden kann. Der Kollaps des Staates brachte keinen Neuen. Nicht nur entstanden unter dem Vorwand, irgendeiner Ethnie anzugehören, zahlreiche Mafiarepubliken, deren Namen keiner aufzählen kann, in den Zerfallsprodukten entsteht nichts, was mit bürgerlicher Staaten entfernt vergleichbar wäre. In Rußland muß ein Sondereinsatzkommando einrücken, wenn der Staat Steuern eintreiben will. Während der Westen noch die Lehreinheiten in Sachen Demokratie und Menschenrechte gab, besann man sich in den implodierten Staaten des Ostblocks älterer Tugenden, die an die ursprüngliche Akkumulation erinnern. Statt es auf dem Markt auszufechten, gilt die Macht der Bande, besonders in den Regionen, in denen Öl vorhanden ist. Die neuen Machthaber sind Banditen, die auf die Etikette verzichten, die sich der Westen momentan noch leistet. Weil der Umbruch kein Fortschritt war, sondern eine Konterrevolution, brachte er keinen einzigen großen Redner hervor. Namenlos ging es in den Untergang, der von allen irgendwie gewollt worden sein muß, da es keine größere Gegenwehr gab. Daß ausgerechnet Gorbatschow, unter dessen Regime die Stammeskriege begannen, den Friedensnobelpreis bekam, zeigt den Realitätsverlust, der die ganze Welt befallen hat. Er selbst wurde schnell von der Geschichte weggefegt, nachdem er die Büchse der Pandora geöffnet hatte übernahmen andere das Ruder.
Auch anderswo hält man es nicht länger aus. Über Nigeria schrieb die Berliner Zeitung vom 10. September 2001, nachdem sich dort 50 Christen und Muslime mit Äxten und Keulen gegenseitig massakriert hatten: „Die meisten Menschen leben unter der Armutsgrenze, obwohl das Land der sechstgrößte Erdölexpoteur der Welt ist. Deshalb suchen immer mehr Menschen die Unterstützung ihrer Volksgruppe oder Religion. In Lagos zum Beispiel bewachen ethnische Milizen ungehindert ganze Stadtteile, weil die Polizei und andere staatliche Institutionen als unfähig und korrupt gelten. Es wird geschätzt, dass in den vergangenen zwei Jahren schon mehr als 10000 Menschen bei ethnischen oder religiösen Konflikten ums Leben gekommen sind“ Das Absterben des Staates bei Beibehaltung der Herrschaft findet überall statt. Immer wieder auch in der Gestalt, das sich der Staat selbst in einen Banditenstaat zurückentwickelt, wie in den Fernsehkrimis, in denen Polizei und Verbrecher ununterscheidbar sind. Ist die Regression vollzogen, wie in Palästina oder Afghanistan, richtet sich die Vernichtungswut nicht mehr gegen verfeindete Cliquen, sondern gegen einen äußeren Feind.
…der goldene Westen…
Die Mächte des güldenen Westens gingen als scheinbare Sieger aus der Blockkonfrontation hervor. Deutschland bekam die nationale Souveränität samt Vereinigung geschenkt und mit Osteuropa seinen traditionellen Aktionsraum zurück. Die USA darf sich, von allen neidisch und feindselig beäugt, als einzige Supermacht feiern. Weil man gerade gute Laune hatte, bot Amerika den Deutschen an, „Partners in Leadership“ zu werden, was zum Schein wenigstens angenommen wurde. Während man im Windschatten der USA wieder kriegsfähig wird, arbeiten die deutschen Politiker im Rahmen eines von ihnen dominierten Europas am Sturz der oft als Weltpolizist verunglimpften USA. „Immer häufiger nehmen Amerika und Europa bei multiliteralen Verhandlungen unterschiedliche Positionen ein. […] Auch mit den Europäern, ihren traditionellen Verbündeten, gerät [die USA] regelmäßig in Konflikt“ meint etwa die FAZ. Bundeskanzler Schröder hetzte, eine Woche vor dem antisemitischen Anschlag, in einer Rede offen gegen Amerika, ganz im Sinne aller, die schon immer für den Frieden sind: „Mit mir ist eine Amerikanisierung der deutschen Gesellschaft nicht zu machen … Nur Europa steht für den wirtschaftlichen, den sozialen, den kulturellen und den ökologischen Ausgleich“. Zu ergänzen wäre, daß auch der Islam ja wie alle ständig betonen so friedlich und sozial ist wie unser Christentum. Er verbietet den Wucherzins, lobt die Frankfurter Rundschau, um den heiligen Krieg gegen die Amerikanisierung zu unterstützen. Der deutsche Imperialismus ist von jeher ein sich ethisch und europäisch gebärdender.
Auch die Linken reden gerne von Großmächten und Hegemonie meinen dies aber natürlich immer sehr abfällig. Tatsächlich tickt der greise Außenminister Fischer so wie ihn sich so mancher Antiimperialist vorstellt. Er mimt vorerst noch den Atlantiker und will zusammen mit den USA „regionale Führungsmächte herausbilden, die zur Stabilisierung in der Lage sind“ – Afghanistan, der Nahe Osten und Afrika müßten durch starke Hand geordnet werden. (FR vom 20.9.2001) Ein blödsinniger Plan, nicht deshalb, weil man sich nicht wünschte, die rasante Erosion der Welt könnte gestoppt werden sondern weil man schon am Kosovo merkt, daß die gemeinsame Außenpolitik der NATO bewußt oder unbewußt genau das beschleunigt, was man vorgibt zu verhindern. Der demokratische Staat Jugoslawien ist in Mafiarepubliken zerfallen.
Der scheinbare Sieger ist in Wahrheit nur übriggeblieben. Um die Supermacht steht es schlecht. „Der Amerikanische Alptraum“ war die Überschrift zu einen Bericht über die Hauptstadt der USA in der Berliner Zeitung (29.8.2001) Diese befände „sich in einen desolaten Zustand. Manche Bewohner vergleichen Washington mit der Kapitale eines Entwicklungslandes … Allein an diesem Augustwochenende wurden bei der ‚Emergency Management Agency‘, dem Amt für Notfälle in Washington mehr als dreitausend schwere Wasserschäden gemeldet. Meistens verursacht durch verstopfte Abflussrohre und Abwasserkanäle des völlig maroden Kanalisationssystems. Selbst im besonders teuren Kalorama-Bezirk wurden die Keller einiger viktorianischer Villen überschwemmt.“ Außerdem fliegen immer wieder fünfzig Kilo schwere Kanaldeckel zehn Meter in die Höhe, weil die schlecht gewarteten Kabel- und Gasleitungen Feuer fangen und einen Überdruck erzeugen.
Auch hierzulande ist die Stimmung nicht gerade rosig. Zwar konnten bislang noch größere Sozialkürzungen via europäischen Markt und Exportüberschuß auf die Nachbarländer abgewälzt werden, aber froh wird niemand so Recht über den Wohlstand, den Deutschland tatsächlich weltweit relativ einzigartig noch horten kann. Statt die Früchte der Ausbeutung zu genießen, machen sich alle Sorgen um die Rente und ob nicht Flüchtlinge ihnen ihr Brot vom Teller klauen könnten. Europa gleicht einem Wehrdorf, es nimmt weniger Flüchtlinge auf, als viele der armen Staaten. Tausende verrecken bei dem Versuch, über das Mittelmeer oder die Neiße zu kommen. Der Wohlstand, den die Chauvinisten verteidigen, bringt den Deutschen kein Glück: Nicht nur die Gattin des ehemaligen Kanzlers, auch über tausend Kinder nehmen sich jedes Jahr ihr tristes Leben.
Wer noch nicht mal die eigene Kanalisation reparieren kann taugt nicht als Zivilisationsbringer. Vorbei sind die Zeiten, in denen Napoleon Armeen das bürgerliche Recht in ganz Europa verbreitete, der einst strahlende Imperialismus ist schon lange im Niedergang. Auch der amerikanische Kriegsminister wird irgendwann bemerken müssen, daß er zwar Staaten beenden kann, aber daß die Kraft fehlt bürgerliche Verhältnisse zu errichten, die auch in den Metropolen nur noch als bröckelnde Fassade existieren. Kein Mensch, der an der Emanzipation festhält, würde den Taliban eine Träne nachweinen. Genausowenig hätte man dem Regime Saddam Husseins eine Träne nachgeweint, das nach eigenem Bekunden und dank deutscher Hilfe Anfang der neunziger in der Lage war, Tel Aviv auszulöschen und vor den Augen der amerikanischen Armee einen Aufstand der Kurden blutig beendigte. Die bürgerliche Substanz ist ausgedünnt, und wich statt dessen einem primitiven Glauben. Bush meinte, „die USA werden die Verantwortlichen für diese feigen Taten jagen und bestrafen … Die Entschlossenheit unserer großen Nation wird auf die Probe gestellt. Doch täuschen Sie sich nicht, wir werden der Welt beweisen, dass wir diese Prüfung bestehen. Gott segne sie“. Tony Blair sekundierte: „Der Massenterrorismus ist das neue Böse der Welt. Wir stehen Schulter an Schulter mit unseren amerikanischen Freunden“ Konnte man zunächst hoffen die markigen Parolen würden wenigstens Israel die Möglichkeit bieten, als Teil der Allianz gegen den Terror mit der völkischen Staatsbewegung in Palästina aufzuräumen, so irrte man sich leider. Jederzeit ist die selbst zur Bande mutierte amerikanische Staatsführung bereit Israel zu opfern. Sharons Panik, sein Staat könnte wie die Tschechoslowakei enden, die 1938 von den Alliierten geopfert wurde um mit den Nazis zu kungeln, hat alle Berechtigung. Israel mag hochgerüstet sein, gegen die Übermacht der antisemitischen Staaten mit noch antisemitischerer Volksbewegung stehen die Chancen nicht allzu gut, zumal wenn ihr bisheriger Garant um eben diese Schurkenstaaten buhlt, um mit ihnen gegen das in Afghanistan geortete Böse zu kämpfen.
… und die Sehnsucht, es den Islamisten gleichzutun
Man hat also gute Gründe, Amerika zu mißtrauen. Der Haß aber auf Amerika, der sich friedensseelig gibt und der von der Basis offen und von den Politikern zwischen den Zeilen geäußert wird meint das Gegenteil. Ihnen geht die Barbarisierung, die die USA etwa im Kosovo auf deutsche Initiative betrieb, nicht schnell genug. Krieg ist immer schlecht, lallt die noch kleine Bewegung, „Eine Fixierung nur auf militärische Maßnahmen wäre fatal“ sagt der Bundeskanzler. Ein billige Lüge, weil jeder, der es wissen will, weiß, daß die Bundesregierung den flüchtenden Afghanen weniger humanitäre Care-Pakete zur Verfügung stellt, als die nun gegen das Land Krieg führenden USA. Robert Musil schon ließ in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ den ersten Weltkrieg mit einem Weltfriedensgipfel der Deutschen beginnen, auf dem sich der Friedensdichter Feuermaul und der Nazi Hans Sepp prächtig verstanden. Die Nazis von Heute verkaufen immer noch Schallplatten mit irgend einer sogenannte ‚Friedensrede‘ des Führers, mit der der zweite Weltkrieg begann. Orwell hat gesiegt. Wenn sie von Frieden reden, meinen sie Krieg. Was Brecht bei den Herrschenden erkannte gilt für die geknechteten Unterdrückten leider genauso. Frieden ist nur die kitschige Losung den Kopf in den Sand zu stecken. Obwohl wenig Grips dazu gehört, zu erkennen, daß angesichts des Zustandes im Schlachthaus Erde ‚Frieden‘ die blödsinnigste Medizin ist, die man als Kur gegen den Terror der Banden und der Ökonomie verschreiben kann. Lenins Losung vom Klassenkrieg gegen die Barbarei ist leider vergessen. Die Losung vom Frieden meint die Macht des Staates, dem die Schafsherde wohl kaum etwas entgegensetzen will. Die Macht des Staates bedeutet in Deutschland die Unterstützung des faschistischen Terrors. Assad, der syrische Präsident und Antisemit, darf wieder auf Staatsbesuch kommen, Arafat erhält für die Mordtaten seiner Untertanen diplomatische Anerkennung und Entwicklungshilfe. Dem Irak kauften die Europäer schon mal die Ölkonzessionen ab, für den Fall, daß die Sanktionen fallen. Die Nibelungentreue zu den USA, die die Rechtsradikalen beklagen, ist schon lange nicht mehr vorhanden. Die historische Friedensbewegung hat mit ihrem Antiamerikanismus dafür den Boden bereitet, die aktuelle könnte sich als unnötig erweisen, weil alle eh schon auf Linie sind. Vielleicht inszenieren aber die Deutschen noch einmal Flankenschutz für den deutschen Imperialismus. Israel, daß sich aufgrund realer Bedrohung Unvernunft nicht leisten kann wird gehaßt, weil es am alten Grundsatz festhält, daß sich Terror nicht auszahlen und das sich zunehmend als Selbstmordkollektiv darstellende palästinensische Volk keine Diktatur geschenkt bekommen darf. Diese Diktatur will Deutschland und seine Linke den doch schon jetzt gebeutelten Palästinensern unbedingt geben und inzwischen auch die USA, die während sie vorgibt, den Terror zu bekämpfen, Israel immer wieder einen Riegel vorschiebt, daß ungleich direkter von den Attentaten betroffen ist.
‚Krieg trifft immer die Falschen‘ raunt der deutsche Volksgeist. Was für ein Unsinn in einem Land, das die bürgerliche Revolution immer nur von außen oktroyiert bekommen mußte, von Napoleon und der Roten Armee. ‚Zivilisation ist Völkermord‘ liest man bei den Friedensfreunden. Zugestanden sei den Feinden der Naturbeherrschung, der lesenden Arbeiter und der festen Häusern, daß auch die Zivilisation seit Anbeginn den Massenmord beinhaltete. Von Hexen- und Ketzerverbrennung bis zu den Bomben auf Vietnam blamierte die Realität den Anspruch, den die Bürger immerhin noch hatten, nämlich daß die unmittelbare Gewalt ein Ende habe. „In der Vorgeschichte ist aller Fortschritt nur Schein“ formulierte mit Marx deshalb einmal eine Linke, die die Versprechen der Zivilisation einlösen wollte, statt sie zu beseitigen. Was aber die Friedensbewegung heute meint, formulierte die Ostzeitung Freitag stellvertretend für alle: Die „städtebaulich völlig überproportionierten Türme [waren] nie etwas anderes als eine Demonstration babylonischen Größenwahns“ Na dann gut, daß sie weg sind. Die Menschen sollen nämlich nicht nach Göttlichkeit streben, sondern geknechtet bleiben, wie die Tiere, von denen sie sich ja erst unterscheiden, seit es Zivilisation gibt. Winfried Nachtwei, ein grüner Fundamentalist, weiß, daß in Wahrheit auch „eine westlich dominierte Medienwelt alles zur Förderung des islamistischen Terrorismus beigetragen habt … durch das alltägliche ‚Bombardement‘ traditionalistischer Gesellschaften mit freizügigen TV-Botschaften westlicher Konsum- und Spaßgesellschaft und die damit einhergehende Bedrohung eigener Identität“ Er könnte Talibansprecher für Deutschland werden, dort gibt es schon lange kein dekadentes TV und konsumiert wird auch recht wenig. Es besteht kein Zweifel, „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder“, wie die klug argumentierende Zeitschrift Bahamas es auf den Punkt brachte. Genau die, die gegen den Golfkrieg protestierten und die deshalb völlig zu recht vom Diktator Hussein als „edle Seelen“ gelobt wurden, forcierten den Krieg gegen von antifaschistischen Partisanen erkämpften Staat Jugoslawien, der allen Deutschen als Symbol der Nachkriegszeit verhaßt war. Genau diese Menschen wissen nun plötzlich wieder, daß man stets die andere Wange hinhalten muß und daß das neue Testament über das alte siegen muß. Seitenweise Leserbriefe beschimpfen die USA und werfen ihr vor, es ginge ihnen nur um Rache. Spätestens, wenn es Israel an den Kragen geht, werden sie genauso unschuldig wie sie immer tun, darauf hinweisen, daß die Juden daran selber die Schuld tragen, wegen Palästina und überhaupt. Die Vorkriegszeit hat in Deutschland begonnen, die Friedensforderung bereitet das ruhige Hinterland vor. Wenn die Realpolitiker aller Parteien sich als neue und friedliche Ordnungsmacht feiern und dabei formal noch Amerika treu sind, weil man schließlich nicht so schnell aus der NATO austreten kann, so formiert sich längst ein eigenständiger europäischer Imperialismus, der als ehrlicher Makler auftritt und lachend zuguckt, wie die USA an Einfluß verlieren, unabhängig davon ob sie Krieg führen oder nicht. Ordnung wird dieser Imperialismus nicht schaffen, aber lauter autoritäre Staaten als Vasallen einsammeln, die sich ‚freiwillig‘ der freundschaftlich gemeinten Hegemonie unterordnen. Die USA haben sich mittlerweile auf die neuen Spielregeln eingelassen und buhlen mit Europa um die islamischen Diktaturen. Mit wenig Chancen freilich, weil die USA überall verhaßt sind, während man gleichzeitig überall Deutschland liebt, das dank historischer Erfahrung schneller und konsequenter die neuen Spielregeln beherrscht. Es gibt kaum Hoffnung, daß die sich totgesiegte Supermacht ohne ihren roten Konkurrenten noch einmal eine stabile Ordnung garantieren kann, die immerhin 40 Jahre lang dafür sorgte, daß der Krieg ein, mit großen Ausnahmen, kalter war. Gar keine Hoffnung besteht aber darauf, daß Deutschland diese Aufgabe übernehmen könnte, dessen Außenminister schon als junger Mann für die iranische Revolution schwärmte, PLO-Treffen besuchte und der jetzt ausgerechnet in Israel anläßlich eines Besuches einer Holocaustgedenkstätte formulierte: „Was wäre das doch für ein wunderbares Deutschland, wenn es die Nazis nicht gegeben hätte!“ Linke hätten darauf früher geantwortet, daß damit der schreckliche Beweis erbracht ist, daß es nur noch die Wahl zwischen Kommunismus oder Barbarei gibt, doch in der subjektivistischen Niedergangsepoche, in der es sich alle bequem machen, wird diese schlichte Wahrheit, wie der Marxismus im Ganzen, als Dogmatismus verlacht, weil jeder Anspruch auf Verbindlichkeit als Verklärung der Aufklärung gilt, die doch die Bedingungen der Weltrevolution erst schuf.