Totengespräch V
MARX: Unsere Leute in Deutschland sind doch miserabel schlaffe Hunde. Nicht ein Wort von den Kerls ist hergedrungen. Sie haben nun in den Zeitungen gesehen, daß eine Broschüre über ihre Angelegenheiten erschienen. Aber sie erkundigen sich nicht einmal. Es ist keine Reaktion, kein Schwung in den Kerls. Alte Weiber – voilà tout.
Die Kölner, namentlich Daniels, verharren in ihrem Schweigen. Antwort darauf, daß man vier bis fünf Wochen aller Geschäfte ihrer Angelegenheit hintansetzte. Bis zu diesem Augenblick – und es ist elf einhalb Uhr – hat Dronke Nr. 2 noch nicht gebracht. Der Junge liegt wahrscheinlich noch zu Bett. Diese Kerls sind wahre Waschlappen. Bei ihrer Faulheit, Widerstandsunfähigkeit und Zusammenklappen bei jeder pressure from without ist Hopfen und Malz verloren.
ENGELS: Der decline unserer Freunde ist nicht sehr angenehm zu vernehmen. Die ‚Besseren‘ werden sich im entscheidenden Moment schon wieder besinnen, es ist aber nicht angenehm, wenn diese citoyens genau so klug und nicht klüger in sie nächste Affäre hineingehen, als sie aus der letzten herausgegangen sind. Lassalle ist, nächst Cluß, bei weitem der brauchbarste von allen, besonders von dem Augenblick an où les biens du comte Hatzfield seront irrévocablement réunis au domaine public. Er hat seine Mucken, aber er hat auch esprit de parti et ambition, und die kleinen Nebengelüste und Privathistorien, denen er unter öffentlichen Vorwänden immer nachgehn wird, kennt man einmal.
MARX: Wir müssen durchaus unsere Partei neu rekrutieren. Cluß ist gut, Reinhardt in Paris ist fleißig. Lassalle, trotz der vielen ‚abers‘, ist dur und energisch. Pieper wäre nicht unbrauchbar, wenn er weniger kindische vanité und mehr esprit de suite hätte. Imandt und Liebknecht sind zäh und jeder in seiner Art nutzbar. Aber alles das ist keine Partei. Der Exleutnant Steffen, Exzeuge beim Kölner Prozeß, jetzt Schulmeister in einer Anstalt bei London, scheint mir tüchtig. Lupus grows from day to day older and becomes more crotchety. Dronke ist und bleibt ein ‚angenehmer Müßiggänger‘.
ENGELS: Mit dem Rekrutieren ist das so eine Sache, ich glaube, wir werden, sobald wir nach Deutschland zurück sind, junge Kerle von Talent genug finden, die in dieser Zwischenzeit die verbotenen Früchte nicht ohne Erfolg genossen haben. Hätten wir die Mittel gehabt, in der Art wie vor 1848, zwei bis drei Jahre wissenschaftlicher und gesetzter Propaganda zu machen, mit Büchern über n’importe quoi, so wären wir bedeutend besser dran. Aber das ging nicht, und jetzt ist das Donnerwetter schon am Brauen. Du könntest Deine Ökonomie fertig machen, wir könnten sie nachher, sobald wir eine Zeitung haben, in weekly numbers drucken, und was der populus nicht versteht, würden die discipuli tant bien que mal maus cependant non sans effet, exponieren.
MARX: Rumpf, unser fideler Schneider, sitzt jetzt im Narrenhaus. Vor ungefähr fünf Monaten heiratete le malheureux, um sich aus bürgerlicher Klemme herauszuziehen, eine alte Frau, wurde übertrieben solid, entsagte allen Spirituosis und arbeitete wie ein Pferd. Vor einer Woche ungefähr gab er sich wieder ans Trinken, ließ mich vor ein paar Tagen rufen, eröffnete mir, daß er ein Mittel gefunden habe, die ganze Welt glücklich zu machen, ich solle sein Minister sein etc. etc. Seit gestern befindet er sich im Asylum. Es ist schade um den Kerl.
ENGELS: Die Hauptsache für den Moment ist: die Möglichkeit, unsre Sachen zum Druck zu bringen; entweder in einer Viertelsjahresschrift, wo wir direkt attackieren und uns Personen gegenüber unsre Positionen sichern; oder in dicken Büchern, wo wir dasselbe tun, ohne nötig zu haben, irgendeine dieser Spinnen auch nur zu erwähnen. Mir ist beides recht; auf die Dauer und bei der zunehmenden Reaktion scheint mir die Möglichkeit für ersteres abzunehmen und letzteres mehr und mehr unsere Ressource zu werden, worauf wir uns werfen müssen. Was wird aus allem Klatsch und Tratsch, den der gesamte Emigrationspöbel auf Deine Rechnung machen kann, wenn Du mit der Ökonomie darauf antwortest?
MARX: An Lassalle ist geschrieben worden, und er wird wohl ready sein, ein paar 100 Exemplare der Broschüre in Empfang zu nehmen und in Deutschland zu vertreiben. Nun fragt es sich, wie hinüberbringen? Charles meinte, als ich in Manchester war, es ließe sich tun durch Verpackung mit Kaufmannsgütern? Frag ihn jetzt einmal darüber.
ENGELS: Wenn Lassalle dir eine gute, gleichgültige Adresse in Düsseldorf gegeben hat, so kannst Du mir 100 Exemplare schicken. Wir werden sie in Twistballen durch hiesige Häuser verpacken lassen; aber sie dürfen nicht an L. selbst adressiert sein …
MARX: Du wirst verdammt schweigsam.
ENGELS: Wir haben jetzt endlich wieder einmal – seit langer Zeit zum erstenmal – Gelegenheit, zu zeigen, daß wir keine Popularität, keinen support von irgend einer Partei irgendwelches Landes brauchen und daß unsere Position von dergleichen Lumpereien total unabhängig ist. Wir sind von jetzt an nur noch für uns selbst verantwortlich, und wenn der Moment kommt, wo die Herren uns nötig haben, sind wir in der Lage, unsere eignen Bedingungen diktieren zu können. Bis dahin haben wir wenigstens Ruhe. Freilich auch eine gewisse Einsamkeit – mon Dieu, die hab ich hier in Manchester seit drei Monaten bereits genossen und mich daran gewöhnt, und dazu als reiner bachelor, was jedenfalls hier sehr langweilig ist. Wir können uns übrigens im Grund nicht einmal sehr beklagen, daß die petits grand hommes uns scheuen; haben wir nicht seit soundsoviel Jahren getan, als wären Krethi Plethi unsre Partei, wo wir gar keine Partei hatten und wo die Leute, die wir als zu unserer Partei gehörig rechneten, wenigstens offiziel, sous réserve de les appeler des bêtes incorrigibles entre nous, auch nicht die Anfangsgründe unsrer Sachen verstanden? Wie passen Leute wie wir, die offizielle Stellungen fliehen wie die Pest, in eine Partei? Wie soll uns, die wir auf die Popularität spucken, die wir an uns selbst irre werden, wenn wir populär zu werden anfangen, eine ‚Partei‘, d. h. eine Bande von Eseln, die auf uns schwört, weil sie uns für ihresgleichen hält? Wahrscheinlich ist es kein Verlust, wenn wir nicht mehr für den ‚richtigen und adäquaten Ausdruck‘ der bornierten Hunde gelten, mit denen uns die letzten Jahre zusammengeworfen hatten.
Sowie man als der Repräsentant einer Partei auftritt, wird man in den Strudel der unaufhaltsamen Naturnotwendigkeit hineingerissen. Bloß dadurch, daß man sich independent hält, indem man der Sache nach revolutionärer ist als die anderen, kann man wenigstens eine Zeitlang seine Selbständigkeit gegenüber diesem Strudel behalten, schließlich wird man freilich auch hineingerissen.
Diese Stellung können und müssen wir bei der nächsten Geschichte einnehmen. Nicht nur keine offizielle Staatsstellung, auch solange wie möglich keine offizielle Parteistellung, kein Sitz im Komitee usw., keine Verantwortlichkeit für Esel, unbarmherzige Kritik für alle, und dazu jene Heiterkeit, die sämtliche Konspiration von Schafsköpfen uns doch nicht nehmen werden. Und das können wir. Wir können der Sache nach immer revolutionärer sein als die Phrasenmacher, weil wir etwas gelernt haben, und sie nicht, weil wir wissen, was wir wollen, und sie nicht, und because, after what we have seen for the last three years, we shall take it a great deal more coolly than any one who has an interest in the business.