3. Dialektik der Täuschung
Was als wissenschaftliches Management der „schrecklichsten Pandemie seit der Spanischen Grippe von 1918“ erscheint, kann ebensogut als Anwendung von mentalen Manipulationstechniken beschrieben werden, die gewöhnlich „Sekten“ zugeschrieben werden und nun die Bürger ganzer Gesellschaften betreffen.
Methodische Isolation des Subjekts, organisierte Zerstörung seiner Verbindungen mit der Welt und den anderen, Entzug von Gewohnheiten, die seine Konsistenz ausmachen, dann apokalyptische Beschreibung der Außenwelt als Ort einer unermesslichen Bedrohung, an dem man dem Bösen ausgeliefert ist, letztlich, als Ersatz der verlorenen Welt, die Konstruktion einer phantasmatischen Realität, die durch keine Erfahrung entkräftet werden kann und der Einschluss des Subjekts in dieser Fiktion, die Verunglimpfung jeder kritischen Haltung und schlussendlich, um diese neue psychotische und verkrüppelte Welt zusammenzuhalten, die Feindbestimmung der „inneren Verräter“, der „Dissidenten“, die das Fortbestehen des Bösen verursachen und eine Bedrohung für die Gruppe darstellen – eine Bestimmung, die es erlaubt, eine dynamische, heroische und zum Kampf gegen die Helfershelfer des Bösen mobilisierende Erzählung aufzubauen.
So etwas war nur möglich, weil es nach einem halben Jahrhundert der massiven Verbreitung von Beeinflussungstechniken eintrat.
Das Wissen um Manipulationstechniken ist zur zweiten Natur unserer Epoche geworden, zu seiner spontanen gesellschaftlichen Grammatik.
Der Aufstieg in den Status eines „Influencers“ gilt einer ganzen Generation als ultimative Leistung.
2010 beauftragte das öffentliche Fernsehen den Papst der französischen Sozialpsychologie und Autor von Kurzer Leitfaden der Manipulation zum Gebrauch für ehrbare Leute sowie von Freiwillige Unterwerfung, das Experiment von Stanley Milgram in Form einer Reality Show zu reproduzieren. Ihr Titel lautete Spiel des Todes, sie lief zur Prime Time.
Das scheußliche Buch Einfluss – Die Psychologie des Überzeugens von Robert Cialdini von 1984 hat bis heute fünf Millionen Leser und sein Autor hat sich wie so viele andere Verhaltenswissenschaftler 2012 in der Wahlkampagne von Barack Obama und 2016 in der von Hillary Clinton hervorgetan.
Youtuber mit 500.000 Views recyceln die Grundtechniken der neurolinguistischen Programmierung als Ratgeber der Verführung.
Jeder „erfolgreiche“ Post auf Instagram verdankt sich einer Kommunikationswissenschaft, die bei den Digital Natives geradezu angeboren ist.
Um zu verstehen, wie wir soweit gekommen sind, könnte man bis zum Ersten Weltkrieg und dem Committee on Public Information zurückgehen. Es hatte, anders als es sein Name nahelegt, die Aufgabe, Kriegspropaganda zu verbreiten; ihm gehörten sowohl Walter Lippmann als auch Edward Bernays an, der berühmte Neffe Freuds, dem wir die Erfindung der Public Relations verdanken. Man könnte die durch und durch demokratische und antitotalitäre Matrix der Propaganda freilegen – man erinnere sich an die unglaubliche Einleitung von Bernays’ Buch Propaganda (1928): „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Diejenigen, die diesen unsichtbaren Mechanismus der Gesellschaft manipulieren, bilden eine unsichtbare Regierung, die die wirklich herrschende Macht in unserem Land ist. Wir werden von Männern regiert, von denen wir nie gehört haben, sie formen unsere Gedanken und unseren Geschmack und legen uns Vorstellungen nahe.“
In Wirklichkeit genügt die Erfassung der 1945 anfangenden „natürlichen“ Konvergenz der Sozialpsychologie, der „Palo-Alto-Gruppe“ in ihrem Krankenhaus für Armeeveteranen, dem Konstruktivismus von Watzlawick und Heinz von Förster, der Ökologie des Geistes von Bateson, der Society for the Investigation of Human Ecology von Wolff und Mead, der „Proxemik“ von Edward T. Hall, des Behaviorismus von Skinner, der Erickson’schen Hypnose, der neurolinguistischen Programmierung von Grinder und Bandler, der „Human Relations“ des Tavistock Institute und des „Research Center for Group Dynamics“ des MIT, der „Veränderungsprozesse“ von Kurt Lewin, der Trauerkurve von Kübler-Ross, des Mentalismus und der persönlichen Entwicklung. Die Übereinstimmung ist umso „natürlicher“, als die meisten dieser Strömungen sich aus Leuten zusammensetzen, die einander gegenseitig gekannt und beeinflusst haben.
All das auf Grundlage einer Werbewissenschaft heimlicher Verführung, deren Reifegrad und Ambitionen Vance Packard bereits 1958 umkreiste.
All das vor dem Hintergrund der kalten und nachdrücklichen Erstickung jedes Konflikts durch das Management.
All das auf der Grundlage des verallgemeinerten Social Engineering und der permanenten Befriedung. Befriedung der Sitten und Ausweitung der Ängste.
Und all das folgte der im vollen Flug erfolgten Explosion des kollektiven Abenteuers der ersten Kybernetik.
Burrhus F. Skinner und seine berühmte „Skinner-Box“.
Ausgehend von dieser Konstellation von Punkten, die trotz ihrer scheinbaren Zersplitterung alle miteinander verbunden sind, haben sich die Techniken mentaler Manipulation und der psychologischen Kriegsführung seit einem halben Jahrhundert in allen Bereichen der gesellschaftlichen Aktivität verbreitet. Sie werden in der Politik, in den Verkaufsmethoden, im Management sowie unter dem Deckmantel von Design, Kommunikationswissenschaften, der Psychologie oder des Coaching gelehrt und praktiziert. Seit einem halben Jahrhundert bilden sie die Stütze, ja, sogar den Gegenstand von Filmen und Serien industriellen Ausmaßes. Sie sättigen wortwörtlich das gegenwärtige gesellschaftliche Feld. Sie sind zur eigentlichen Struktur geworden, auf Grundlage des konstruktivistischen Prinzips, dass von nun an die Trennung von Wirklichkeit und Illusion, die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge hinfällig sind. Karl Rove, der teuflische Mentor von Georg W. Bush, zog daraus in einem Gespräch folgende politische Konsequenz: „Wir sind jetzt ein Imperium und wenn wir handeln, erzeugen wir unsere eigene Wirklichkeit. Und während ihr diese Wirklichkeit untersucht – verständig, wie ihr seid –, handeln wir wieder und erzeugen neue Wirklichkeiten, die ihr wieder untersuchen könnt, und so ordnen sich die Dinge. Wir sind die Akteure der Geschichte […] und ihr, ihr alle, könnt nur studieren, was wir machen.“
Seit Jahrzehnten wiederholen die mickrigsten Lehrstühle des Journalismus, des Managements, des Marketings, der Kommunikationswissenschaften, der postmodernen Philosophie und sogar der Militärstrategie, dass die Wirklichkeit nicht existiert.
Dass sie erfunden wird.
Dass das menschliche Subjekt in seiner epistemologischen Blase eingeschlossen ist.
Dass alles nur eine Frage der Wahrnehmung ist und dass die Wahrnehmungen verwaltet, konstruiert und nach Belieben manipuliert werden können.
Und man denunziert das Gefühl, dass diese ganze Gesellschaft die Züge einer gigantischen Intrige annimmt, als paranoid und verschwörungstheoretisch.
Man stellt angewidert fest, wie leicht Fake News der offiziellen Propaganda Konkurrenz machen.
Man schließt sich sogar ohne Aussicht auf Erfolg zusammen, um „Information zu zertifizieren“.
Man zetert laut über die angebliche „Epidemie der Verschwörungstheorien“.
Man macht Jagd auf die Verschwörung der Verschwörungstheoretiker.
Man entrüstet sich darüber, dass einem nicht mehr geglaubt wird, obwohl man die Notwendigkeit der Lüge seit nunmehr einem halben Jahrhundert theoretisch begründet.
Und tatsächlich sind die Regierenden, Journalisten und Wissenschaftler mit einer heilsamen Epidemie der Ungläubigkeit konfrontiert, die gerade das Produkt dieser Sättigung unseres Lebens mit ihren Manipulationstechniken ist.
Nicht die Informationen über die Welt sind falsch geworden: sondern die Welt selbst.
Alle, die Augen haben zu sehen, haben es bemerkt.
Nie ist so viel über die Wahrheit gesprochen worden wie in dieser Welt der professionellen Lügner.
Man könnte das die Dialektik der Mystifizierung nennen: Die Manipulationskünste sind so stark verbreitet, dass sie nicht mehr funktionieren.
Die Unschuld wurde getötet, die doch die Voraussetzung für die Wirksamkeit der sozialen Taschenspielertricks war. Jeder Neuling auf dem Gebiet der Verkaufstechniken ist mit dem ABC der Täuschung so gut vertraut, dass er sie auch erkennen und sich dagegen wehren kann.
Denn das Wissen über die Beeinflussung ist auch das Wissen über die Immunisierung gegenüber Beeinflussung.
Und daher kommen die heutigen „Verschwörungstheorien“.
Wir können nicht nicht wissen, dass sie lügen, und das wissen sie ganz gut.
Noch unverschämter: Wir wenden die Techniken, die sie uns beigebracht haben und von denen sie glaubten, sie für sich behalten zu können, offensiv gegen sie.
Sie haben gespielt, sie haben verloren.
Auch wir produzieren Memes.
Und sie sind sehr viel besser als ihre eigenen: sie haben mehr Wahrheit.
Unsere „Kommunikation“, mit ihren ärmlichen Mitteln, ist hundert Mal effektiver, weil wir daran glauben.
Sie kommen nicht auf die Idee, dass der epistemologische Rahmen, in dem wir leben, unsere Gewohnheiten, unsere Verhaltensweisen, unsere Gedanken etwas anderes darstellen könnten als existenzielle Gleise, die wir nicht verlassen können, als ein hermeneutisches Gefängnis, aus dem wir zu entkommen träumen oder als eine neurolinguistische Umgebung, die wir mit ein bisschen Plastizität bloß neu programmieren müssten, um endlich „Erfolg zu haben“.
Sie kommen nicht auf die Idee, dass all das den Sinn ausmacht, den wir im Leben sehen: unsere Idee des Glücks, die von uns geschätzte Form zu leben.
Sie scheinen nicht zu verstehen, dass Verbundenheit nicht pathologisch sein kann.
Und das ist fraglos das eklatanteste Symptom ihrer Krankheit.